1. Von der Verleihung besonderer Gnadengaben und ihrem Mißbrauche.
S. 23 I. Unser Gott und Heiland Jesus Christus übergab uns das große Geheimnis der Gottseligkeit und berief Juden und Heiden zur Erkenntnis des einen und allein wahren Gottes, wie er denn einmal bei seiner Danksagung für die Rettung der Gläubigen sprach: „Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart und das Werk, das du mir aufgetragen hast, vollendet“1. Und von uns sprach er zum Vater: „Heiliger Vater, wenn auch die Welt dich nicht erkennt, aber ich habe dich erkannt und diese haben dich erkannt“2. Mit Recht, als wären wir vollendet, spricht er zu allen zumal über die von ihm durch den Heiligen Geist verliehenen Gnadengaben: „Zeichen aber werden denen, die da glauben, folgen, solcherlei: In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, sie werden neue Sprachen reden, sie werden Schlangen aufheben und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen und sie werden gesund werden“3. Diese Gnadengaben wurden zuerst uns Aposteln gegeben, die das Evangelium jedem Geschöpfe verkündigen sollten, dann sollten sie notwendigerweise den durch unsere Vermittlung gläubig Gewordenen verliehen werden, nicht zum Nutzen der Verleiher, sondern zur Überzeugung der Ungläubigen, auf daß diejenigen, welche die Rede nicht überzeugte, die Kraft der Wunder beschämen möchte. Denn „die Wunderzeichen gelten nicht uns, den Gläubigen, sondern den Ungläubigen, den Juden und Heiden“4. Denn das Teufelaustreiben ist S. 24 doch nicht unser Gewinn, sondern Gewinn derjenigen, die durch Christi Wirksamkeit gereinigt werden. So zeigt es bei unserer Belohnung der Herr selbst mit den Worten: „Nicht darüber freuet euch, daß euch die Geister gehorchen, freuet euch aber darüber, daß eure Namen im Himmel eingeschrieben sind“5. Denn jenes geschieht durch seine Kraft, dieses aber durch unsere Einsicht und Tätigkeit, offenbar auf Grund seiner Unterstützung.
Es ist nun nicht notwendig, daß jeder Gläubige Teufel austreibe oder Kranke heile oder in Sprachen rede, sondern nur derjenige, der aus einer nützlichen Ursache einer Gnadengabe gewürdigt worden ist zum Zwecke der Rettung der Ungläubigen; viele von diesen nämlich, die der Rettung würdig sind, werden umgestimmt, nicht durch den Nachweis der Reden, sondern durch die Kraft der Wunder. Denn nicht alle Gottlosen werden durch Wunder bekehrt. Dessen ist Gott selbst Zeuge, wenn er im Gesetze spricht: „In fremden Sprachen werde ich zu diesem Volke reden und in fremden Zungen und doch werden sie nicht glauben“6. Weder die Ägyptier haben Gott geglaubt, obgleich Moses so große Wunder und Zeichen gewirkt hat, noch die große Mehrzahl der Juden dem neuen Moses Christus, der jede Krankheit und jede Schwäche unter ihnen heilte. Weder jene hat der zur lebenden Schlange gewordene Stab, die weiß gemachte Hand und der in Blut verwandelte Nil7 zurechtgewiesen, noch diese die sehenden Blinden, die gehenden Lahmen und die auferstandenen Toten8; dem einen widerstrebten Jannes und Mambres9, dem andern Annas und Kaiphas10. So überzeugen die Wunder nicht alle, sondern nur die Verständigen; zu ihren Gunsten läßt Gott nach seinem Wohlgefallen, wie ein weiser Verwalter, Wunder wirken, nicht durch die Kraft der Menschen, sondern durch seinen freien Willen. Das sagen wir, damit diejenigen, die Gnadengaben empfangen haben, sich S. 25 nicht überheben über jene, die sie nicht empfangen haben.
Gnadengaben aber nennen wir jene, die durch Wunder sich betätigen, da es keinen durch Christus an Gott gläubig gewordenen Menschen gibt, der die geistige Gnadengabe nicht erhalten hat. Denn gerade die Befreiung vom Götzendienste und der Glaube an den Vater durch Christus ist eine Gnadengabe Gottes und ebenso, die jüdische Hülle abgeworfen und geglaubt zu haben, daß nach Gottes Wohlgefallen der Eingeborene von Ewigkeit in der späteren Zeit ohne Beiwohnung eines Mannes aus einer Jungfrau gezeugt worden ist, daß er als Mensch ohne Sünde, jede Gerechtigkeit des Gesetzes erfüllend, gelebt und daß der Gott Logos mit Gottes Zulassung die Schmach verachtet und das Kreuz getragen hat und daß er gestorben ist und begraben wurde und nach drei Tagen auferstanden ist, daß er nach der Auferstehung vierzig Tage bei den Aposteln geblieben ist und alle Ordnung getroffen hat und vor ihren Augen aufgenommen wurde zu seinem Gott und Vater, der ihn gesandt hatte. Wer dies nicht unüberlegt und unvernünftig, sondern nach Untersuchung und mit voller Überzeugung geglaubt hat, der hat von Gott die Gnadengabe erhalten, desgleichen auch wer von aller Irrlehre sich frei bewahrt hat.
Wer also Zeichen und Wunder tut, verurteile nicht einen der Gläubigen, der nicht gewürdigt wurde, sie zu wirken. Denn verschieden sind die Gnadengaben Gottes, von ihm durch Christus gegeben: Du hast diese empfangen, ein anderer eine andere, den Geist der Weisheit oder der Erkenntnis oder der Unterscheidung der Geister11 oder die Vorerkenntnis der Zukunft oder die Lehrgabe oder die Langmut oder die gesetzliche Enthaltsamkeit. Denn auch Moses, der Mann Gottes, überhob sich, als er in Ägypten Wunder wirkte, nicht über seine Stammesgenossen und, obgleich Gott genannt, prahlte er nicht gegenüber seinem Propheten Aaron12. Und auch Jesus, der Sohn des Nave, der S. 26 nach ihm das Volk führte, erhob sich nicht übermütig über Phinees oder Kaleb, obwohl er, weil der Tag zum Siege nicht ausreichte, im Kriege gegen die Jebusiter die Sonne gegen Gabaon stellte und den Mond gegen die Bergschlucht Ailon13. Und auch Samuel, der so viel Wunderbares getan hatte, schätzte den Gott liebenden David nicht gering, beide waren ja Propheten, und zwar jener Hohepriester, dieser König. Und obgleich in Israel siebentausend Heilige waren, die ihre Kniee vor Baal nicht gebeugt hatten14, wurde doch unter ihnen nur Elias und sein Schüler Elisäus Wundertäter. Aber weder Elias verhöhnte den Ökonomen Abdias, der Gott fürchtete, aber keine Wunder wirkte, noch hat Elisäus seinen Diener, der vor den Feinden erbebte, verachtet. Aber auch der weise Daniel, zum zweitenmal dem Rachen der Löwen entrissen, und die drei Jünglinge, befreit aus dem Feuerofen, haben die übrigen der Stammesgenossen nicht verächtlich behandelt, denn sie wußten, daß sie nicht durch eigene Gewalt der Schrecken Herr geworden waren, sondern durch die Kraft Gottes sowohl Wunder wirkten, als von Nöten befreit wurden.
Daher soll keiner sich über den Bruder erheben, auch wenn er Prophet oder Wundertäter wäre; denn wenn es keinen Ungläubigen mehr gäbe, wäre künftig auch jede Wunderkraft überflüssig. Denn das Frommsein stammt aus der guten Gesinnung eines Menschen, das Wunderwirken aber aus der Kraft des Wirkenden (Gottes), von diesen zwei Dingen bezieht sich das eine auf uns selbst, das andere aber auf Gott, der aus den erwähnten Ursachen Wunder wirkt. So soll weder der Kaiser die Feldherrn unter ihm verachten, noch die Herrscher ihre Untertanen, denn wenn es keine Untertanen gäbe, wären Herrscher überflüssig und ohne Feldherrn wird kein Reich bestehen. Aber auch weder der Bischof soll sich über die Diakonen oder über die Priester, noch die Presbyter über das Volk sich erheben, denn aus beiden besteht die S. 27 Verbindung der Kirche. Denn die Bischöfe und die Presbyter sind Priester von Leuten, und die Laien sind Laien von Leuten und das Christsein steht bei uns, aber Apostel oder Bischof oder etwas anderes sein steht nicht bei uns, sondern bei Gott, der die Gnadengaben verleiht. Dies bisherige also sei gesagt wegen derjenigen, die der Gnadengaben oder Ehrenstellen gewürdigt worden sind.
II. Dies aber müssen wir der Schrift noch beifügen, daß nicht jeder, der prophezeit, gottgefällig, und nicht jeder, der Teufel austreibt, heilig ist. Denn auch der Seher Balaam, der Sohn des Beor, hat, obgleich er gottlos war, prophezeit15 und auch Kaiphas, der fälschlich Hohepriester genannt wurde. Vieles prophezeit auch der Teufel und seine Dämonen, aber deshalb war in ihnen nicht ein Funken Frömmigkeit; durch eigene Schuld sind sie von Unwissenheit gequält. Offenbar bedecken die Gottlosen, wenn sie auch prophezeien, nicht ihre Gottlosigkeit, und die Teufel austreiben, werden infolge des Ausfahrens derselben nicht geheiligt werden. Denn sie täuschen sich gegenseitig wie Leute, die des Spasses wegen Kinderspiele aufführen, und jene, die ihnen vertrauen, richten sie zugrunde. Weder ein gottloser König bleibt König, sondern wird Tyrann, noch bleibt ein durch Unwissenheit und schlechte Gesinnung beherrschter Bischof noch Bischof, sondern wird ein Fälschling, nicht von Gott, sondern von den Menschen befördert, wie Ananias und Samäas in Jerusalem und die falschen Propheten Sedekias und Achab in Babylon16. Aber auch der Wahrsager Balaam wurde bestraft, als er Israel in Beelphegor verführt hatte17. Kaiphas wurde später Selbstmörder, die Söhne des Skewas wurden bei ihrem Versuche, Teufel auszutreiben, von ihnen verwundet und zur schmählichen Flucht gezwungen, und die gottlosen Könige von Israel und Juda erlitten verschiedene Strafen.
S. 28 Offenbar werden nun die falschen Bischöfe und Priester der Strafe Gottes nicht entfliehen; auch jetzt wird ihnen gesagt werden: „Euch aber, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet, werde ich zur Ermordung übergeben, wie den Sedekias und Achab, die der König von Babylon auf dem Roste gebraten hat“, wie der Prophet Jeremias sagt18. Dies sagen wir nicht aus Verachtung der wahren Prophezeiungen, die, wie wir wissen, nach Gottes Eingebungen in die Frommen erfolgen, sondern um die Frechheit der Prahler zu hemmen, fügen wir auch bei, daß solchen Gott seine Gnade entzieht, „den Hoffärtigen widersteht Gott, den Demütigen aber gibt er Gnade“19. Silos nun und Abgar, Propheten unserer Zeit, wollten nicht den Aposteln gleich sein und überschritten nicht ihre Grenzen20, gleichwohl waren sie Gottes Lieblinge. Auch Frauen haben prophezeit in der alten Zeit: Maria, die Schwester des Moses und Aaron21, nach ihr Debbora22 und nach ihnen Holda und Judith23, die eine zur Zeit des Josias, die andere des Darius. Auch die Mutter des Herrn hat prophezeit und ihre Base Elisabeth24 und zu unsern Zeiten die Töchter des Philippus25. Aber diese erhoben sich nicht über die Männer und hielten das ihnen eigene Maß ein. Wenn also unter uns ein Mann oder eine Frau lebt und eine solche Gnadengabe erlangt, so sollen sie demütig sein, auf daß auf ihnen Gottes Wohlgefallen ruhe. Denn „auf wen soll ich schauen“, spricht er, „als auf den Demütigen, Ruhigen und meine Worte Fürchtenden“26.
-
Joh. 17, 6. ↩
-
Ebd. [Joh.] 17, 25. ↩
-
Mk. 16, 17 f. ↩
-
1 Kor. 14, 22. ↩
-
Luk. 10, 20. ↩
-
Is. 28, 11. ↩
-
Ex. 4, 7 ff. ↩
-
Matth. 11, 5. ↩
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2 Tim. 3, 8. ↩
-
Joh. 18, 13 f. ↩
-
1 Kor. 12, 8 u. 10. ↩
-
Deut. 33, 1 u. Ex. 7, 1. ↩
-
Josue 10, 12. ↩
-
3 Kön. 19, 18. [1 Kön. nach neuerer Lesart]. ↩
-
Num. 23, 24. ↩
-
Jer. 29, 21 u. 22. ↩
-
Num 25, 3. ↩
-
Vgl. Jer. 36, 31. ↩
-
1 Petr. 5, 5. ↩
-
Apg. 15, 32; 21, 10. ↩
-
Ex. 15, 20. ↩
-
Richt. 4, 4. ↩
-
4 Kön. 22, 14 [2 Kön. nach neuerer Zählart]; Jud. 8. ↩
-
Luk. 1, 2. ↩
-
Apg. 21, 9. ↩
-
Is. 66, 2. ↩