Einleitung: Das achte Buch der apostolischen Konstitutionen
S. 17 Das achte Buch der apostolischen Konstitutionen1 zog seit der ersten Ausgabe (1563) die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich; enthielt es doch ein Euchologium und Kanones, deren apostolische Herkunft, wie man allgemein vermutete, außer allem Zweifel stand2. Erst mit dem Wachsen kritischer Forschung wagte man die Apostolizität in Frage zu stellen und nach Datierungskriterien sich umzusehen. Bis in die jüngste Zeit behauptete auf diesem Gebiete F. X. Funk 3 das Feld, nachdem ihm die Tübinger K. J. Hefele und Seb. Drey als Wegweiser vorangingen. Das Resultat seiner Studien, die er in einer Reihe von Aufsätzen und größeren Einzeluntersuchungen niedergelegt hatte, lautete dahin, das achte Buch ist c. 400 entstanden. Hielten auch einige der von ihm aufgestellten Gründe näherer Untersuchung4 nicht stand, so blieb doch bis heute die Mehrzahl der Forscher bei dieser Datierung bestehen, wobei man bis gegen 370 für die Abfassung Spielraum ließ. Weniger glücklich war die Art und Weise, mit welcher er die Priorität von AK VIII gegenüber anderen Euchologien zeitlebens verteidigte. Nicht allein bedeutende dogmengeschichtliche Versehen5 liefen ihm da unter, sondern es stand ihm absolut fest, daß eine Reihe anderer Kirchenordnungen und Euchologien, wie die sog. ägyptische Kirchenordnung, die Constitutiones per Hippolytum, das Testament unseres Herrn, die arab. Canones des Hippolyt, Syrien angehören6 und nur unter einem andern Aushängeschild in verkürzter oder überarbeiteter Fassung in Umlauf gesetzt wurden. Damit hatte er aber ägyptische Originalquellen, teilweise früher Zeit, einfachhin in ihrer Selbständigkeit vernichtet. Widerspruch blieb ihm natürlich nicht erspart. Ad. S. 18 Harnack und H. Achelis ließen ihre These von der Abfassung der sog. ägyptischen Kirchenordnung um c. 300 oder noch früher nie fallen, und die Anhaltspunkte, daß der Römer Hippolyt einen Teil der Kirchenordnungen inauguriert habe7, ließen sich nicht aus der Welt schaffen. Diese und jene Bedenken verstummten nie, bis Ed. Schwartz 8 die Frage aufs neue auf Grund des handschriftlichen und überlieferungsgeschichtlichen Befundes dahin entschied, daß in AK VIII frühere Quellen, auch die sog. ägyptische KO, eingearbeitet sind. Die arab. Canones Hippolyts stellen ägyptische Weiterbildungen auf dem Fundament der sogen. ägyptischen Kirchenordnung dar9.
In der folgenden Übersetzung, welche Rem. Storf uns fertigte, sind jene Teile wiedergegeben, welche zum Euchologium gehören, während die apostol. Kanones nicht beigezogen wurden: es sind die Bestimmungen von den Charismen (c. 1—2)10 und von den Weihen und Stufen des Klerus (c. 3—26), des Bischofs (c. 4—5), des Priesters (c. 16), des Diakons (c. 17—18), der Diakonissin (c. 19—20), des Subdiakons (c. 21), des Lektors (c. 22). Mit c. 23 beginnen Verordnungen über Bekenner, über die Jungfrauen (c. 24), über die Witwen (c. 25), den Exorcisten (c. 26). In den übrigen Kapiteln (c. 27—46) sind alle möglichen Bestimmungen untergeordneter Natur gegeben, welche Ergänzungen zu den Weihebestimmungen darstellen, z. B. eine Verordnung, wie viele bei der Bischofsweihe mitwirken sollen (c. 27), über Erstlinge und Zehnten (c. 30—40), über Eulogien und das was von den Opfergaben übrig blieb (c. 31), über die Vesper (c. 35 f.), über Totenoffizien und Jahrestage (c. 41 f.) bis in c. 47 noch die 85 „kirchlichen Kanones der hl. Apostel“ aufgezählt werden.
Für uns ist hier noch zweierlei von Interesse. Es gibt einen Auszug aus AK VIII, welcher aus fünf Teilen besteht11, von denen aber jeder eine eigene Überschrift trägt. Der zweite Teil, welcher AK VIII 4—5; 16—18; 30—31 entspricht, ist überschrieben: διατάξεις τῶν ἁγίων ἀποστόλων περὶ χειροτονιῶν διὰ Ἱππολύτου 12 bringt also die Verordnungen über die Weihen mit Hippolyt in Verbindung, dieser Teil stellt zugleich eine Überarbeitung der S. 19 sog. ägyptischen Kirchenordnung dar13. Da nun unter dem Schriftenkatalog Hippolyts von Rom eine Schrift περὶ χαρισμάτων ἀποστολικὴ παράδοσις [peri charismatōn apostolikē paradosis] genannt ist, so lag die Vermutung nahe, die Grundschrift, die sog. ägyp. KO, als Werk Hippolyts zu betrachten14. Wir dürfen aber diesen Schluß nicht als absolut bindend betrachten, zumal deutliche Anzeichen dafür sprechen, daß die sog. ägyptische Kirchenordnung wirklich in Ägypten unter dem Einflusse eines Klemens und Origenes entstand15 und dann erst von Hippolyt übernommen sein mochte. Es scheint, daß in Syrien das mit dem autoritativen Namen des Hippolyt versehene Werk bekannt und verarbeitet wurde16.
Nach Art ägyptischer Quellen (der sog. ägyptischen KO, der arabischen Kanones des Hippolyt, des Testaments unseres Herrn), verleibt auch AK VIII die Beschreibung der Messe jenem Abschnitt über die Bischofsweihe ein, als dessen erste Funktion die Feier der Liturgie erscheint. Da die einzelnen Partien jeweils einem Apostel zugeteilt werden, so übernimmt Andreas die Rolle, den Wortgottesdienst angeordnet (c. 6), Jakobus der Herrnbruder jene, die Anaphora bestimmt zu haben (c. 12)17.
Die Meßliturgie selbst hat die verschiedensten Beurteilungen erfahren. Solange man noch an eine Abfassung des syrischen kirchenrechtlichen Oktateuchs in apostolischer Zeit glaubte, wurde sie als Dokument von höchster liturgiegeschichtlicher Bedeutung betrachtet, dessen Spuren man bei allen Kirchenschriftstellern wiederzufinden sich bemühte18. Die natürliche Folge davon war, daß man in Worte und Sätze dieser sekundären Zeugen vieles hineinlas, was sie nicht besagten, und daß chronologische Fehler mitunterliefen. Eine Entwicklung dieser oder jener Gebete und rituellen Handlungen schien es im Altertum nicht zu geben, ebensowenig wie die Annahme lokaler Eigenheiten verpönt werden mußte. Die Richtung blieb lange Zeit die maßgebende. In allerneuester Zeit stehen sich zwei Theorien gegenüber. Die eine sieht in der Messe AK VIII ein literarisches Produkt eines Verfassers, der seine heimatliche Liturgie am Ende des vierten Jahrhunderts am Studiertische S. 20 mit andern ihm bekannten ägyptischen oder kleinasiatischen oder römischen verglich und zu einem Ganzen zu verschmelzen suchte. Diese Liturgie stand auf dem Papier, ohne in dieser Form in die Praxis auf längere Zeit überzugehen. Eine zweite Richtung kombiniert die alte Theorie, daß in AK VIII Bestandteile aus apostolischer Zeit sich vorfinden, welche schon damals eine ausgebildete Form besaßen — dazu gehört besonders das langausgedehnte Dankgebet —, mit dieser neuen soeben vorgetragenen Ansicht19. Die Entwicklung soll demnach vornehmlich in der Verringerung des Umfangs mancher Gebete, aber auch in einer zeitgeschichtlichen Mehrung mancher rituellen Gepflogenheiten bestanden haben. Wir haben jetzt durch die Auffindung neuer liturgischer Dokumente einen Maßstab zur Beurteilung beider Theorien gewonnen. Es darf als ausgeschlossen gelten, daß in den ersten vier Jahrhunderten eine rückgängige Entwicklung in den Liturgien anzunehmen ist. Die Gebete werden mit der Zeit nicht kürzer, sondern länger. Das ausnahmsweise lange Dankgebet mit der ausführlichen Schilderung des alttestamentlichen Heilsplanes war nicht von Anfang an so gebildet, sondern ist erst im Laufe der Zeiten so geworden. Lassen sich zu diesem oder jenem Teile desselben Parallelen aus Kirchenschriftstellern anführen, so ist damit noch nicht eine Abhängigkeit aus einer mit AK VIII adäquaten Grundliturgie erwiesen. Solche Heilstatsachen, die bei den biblischen Lesungen überall vorgetragen wurden, und zwar in demselben Wortlaut, ließen sich bald da, bald dort verwenden, oder waren in einem Grundriß biblischer Geschichte aufgezeichnet20. All diesen Stücken liegt eine gemeinsame Quelle zugrunde. Eine zweite Quelle ist liturgischer Natur. Nicht allein das Gemeindegebet des ersten Klemensbriefes (aus dem Jahr c. 96)21, sondern auch eine Normalliturgie, wie sie Justin der Martyrer (c. 156) bezeugt22 und der neuaufgefundene Papyrus uns vor Augen hält23, gaben für andere Gebete (Fürbitten, Rezitation der Abendmahlsworte mit Epiklese, Gebete vor der Kommunion) eine allgemeine Grundlage von Ideen und einen Wortschatz für alle Länder der damaligen Christenheit, so daß wir sie hier S. 21 und dort antreffen. Ebenso darf uns nicht verwundern, wenn von dem Dankgebet der sog. ägyptischen Kirchenordnung die wesentlichsten Sätze nicht bloß in ihrer Heimat, sondern auch in Rom und Syrien auftreten, wo wir wissen, daß ein lebhafter Austausch all dieser Produkte stattfand24. Wir dürfen daher die Messe des achten Buches der apostolischen Konstitutionen als eine Redaktion betrachten, deren Grundlage schon, die syrische Liturgie, aus diesen Quellen herausgewachsen ist, die aber in stilistischer Beziehung wie auch in der Mehrung des Umfanges einem leitenden Manne ihr Dasein verdankt.
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S. 21 (1.) Ausgabe von F. X. Funk, Didascalia et Constitutiones apostolorum vol. I. Paderbornae 1905/06, S. 460 ff. Ausgabe der Liturgie von H. Lietzmann, Liturgische Texte VI. Die klementinische Liturgie mit Anhängen. Bonn 1910 (Kleine Texte Heft 61). O. Bardenhewer, Patrologie 3. Aufl. Freiburg 1910, 319 ff. ↩
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(2.) Bardenhewer S. 321. ↩
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(3.) Ebenda S. 322. ↩
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(4.) Die Gleichstellung des Sabbats mit dem Sonntag geht schon auf frühere Zeit zurück, vgl. G. Rauschen, Grundriß der Patrologie. 2. Aufl. Freiburg 1906, 181. A. 2 (3. Aufl. 1910) und Th. Schermann, Der ägyptische Festkalender vom 2.—5. Jahrh. in Theologie und Glaube 1912. ↩
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(5.) Th. Schermann, Ägyptische Abendmahlsliturgien in ihrer Überlieferung dargestellt (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, herausgegeben von Drerup, Grimme und Kirsch, VI. Bd. Heft 1—2), Paderborn 1912,17 ff. ↩
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(6.) Bardenhewer a. a. O. S. 323 f. ↩
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(7.) In einer Epitome der Apostolischen Konstitutionen, in den sog. Konstitutionen per Hippolytum, trägt der Teil, welcher die Weihen behandelt (AK VIII 4—5; 16—18; 30—31) den Titel: διατάξεις τῶν ἁγίων ἀποστόλων περὶ χειροτονιῶν διὰ Ἱππολὐτου [diataxeis tōn hagiōn apostolōn peri cheirotoniōn dia Hippolytou] s. F. X. Funk, Didascalia et Constit. Apostol., vol. II 1906 p. 72—96. ↩
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(8.) Ed. Schwartz, Über die pseudoapostolischen Kirchenordnungen (Schriften der wissensch. Gesellschaft in Straßburg Heft 6), Straßburg 1910, S. 3 f. ↩
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(9.) Vgl. Bardenhewer S. 325; Ed. Schwartz a. a. O. S. 8 f. ↩
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(10.) Bardenhewer S. 320; F. X. Funk, Didascalia etc. vol. I 460 ff. ↩
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(11.) Siehe Anmerkung 7 und Ed. Schwartz S. 27. ↩
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(12.) Funk, Didascalia II 77 ff., Ed. Schwartz S. 5. ↩
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(13.) Funk II p. XIX (Die Gegenüberstellung der entsprechenden Partien) und Ed. Schwartz S. 29 ff., 32. ↩
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(14.) Funk II p. XII; Ed. Schwartz S. 38—40. ↩
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(15.) Th. Schermann, Ägypt. Abendmahlsliturgien a. a. O. S. 20, 32; derselbe, Die Abendmahlsliturgien der Neophyten nach ägypt. Quellen vom 2.—5. Jahrh. Zeitschr. f. kath. Theol. 1912. ↩
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(16.) Ed. Schwartz, Über die pseudoapostol. Kirchenordnungen S. 39; derselbe, Bußstufen und Katechumenatsklassen (Schriften der Wissensch. Gesellschaft in Straßburg Heft 7), Straßburg 1911. ↩
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(17.) Ausgabe von Funk, Didascalia et Constit. apostol. vol. I 478 Zeile 2 (c. 6); 494 Zeile 19 (c. 12). ↩
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(18.) Vgl. P. Drews, Untersuchungen über die sogenannte klementinische Liturgie im VIII. Buch der apostolischen Konstitutionen 1. Die klementinische Liturgie in Rom, Tübingen 1906 (Studien zur Geschichte des Gottesdienstes und des gottesdienstlichen Lebens Heft 2 und 3), Tübingen 1906, S. 6 ff. Brightman, Journal of theol. stud. XII 1911, 312 ff. ↩
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(19.) Vgl. Drews a. a. O. S. 4. ↩
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(20.) Vgl. Th. Schermann, Griechische Zauberpapyri und das Gemeinde- und Dankgebet im ersten Klemensbriefe (Texte und Untersuchungen zur altchristl. Literatur N. F. XXXIV. Bd. Heft 2b), Leipzig 1909, 47 ff. ↩
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(21.) s. Drews S. 12 ff. ↩
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(22.) Ebenda S. 56 ff. ↩
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(23.) Th. Schermann, Ägyptische Abendmahlsliturgien a. a. O., Paderborn 1912, S. 5 ff. ↩
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(24.) Ebenda S. 27. ↩