Antwort
Keineswegs soll der Vorsteher mit Leidenschaft die Strafen über die Fehlenden verhängen. Denn mit Wuth und Zorn den Bruder zurechtweisen heißt nicht ihn von der Sünde befreien, sondern sich selbst in Sünden verwickeln. Daher sagt der Apostel: „Mit Milde weise er die zurecht, welche widerstreben.“1 Nicht einmal, wenn er selbst verachtet wird, darf er heftig sein; sieht er aber, daß ein Anderer verachtet wird, so beweise er gegen den Fehlenden gütige Nachsicht, zürne aber um so mehr über die Sünde. Denn auf diese Weise wird er nicht nur dem Verdachte der Eigenliebe entgehen, sondern auch beweisen, daß er nicht den Sünder hasse, wohl aber die Sünde verabscheue, indem er zwischen beiden einen Unterschied macht. Zeigt er aber seinen Unwillen nicht in der gesagten, sondern entgegengesetzten Weise, so geht daraus hervor, daß er nicht wegen Gott noch wegen der Gefahr des Sünders, sondern wegen seines Ehrgeizes und seiner Herrschsucht unwillig ist. Freilich muß er für die Ehre Gottes, welche durch die S. 152 Übertretung des Gebots beleidigt wird, Eifer beweisen, aber auch mitleidsvolle Bruderliebe wegen der Rettung des Bruders, welcher durch die Sünde Gefahr läuft, „weil die Seele, welche sündigt, sterben wird,“2 bei jeder Sünde gleichsam gegen die Sünde aufgebracht werden und durch die Heftigkeit der Bestrafung den Eifer seiner Gesinnung an den Tag legen.
