6.
Der gute Hirte, der sein Leben für seine Schafe hingibt1, schenkt euch, wie ihr seht, einen Hirten2 Er gibt sich euch hin in doppelter statt in einfacher Gestalt3. Die Stütze des Alters macht er zu einer Stütze S. 4 im geistlichen Dienste. Dem leblosen Tempel gibt er einen lebendigen4 bei, dem herrlichen, ja himmlischen den, der so und so geartet war5 und so und so viele Jahre zählt, aber doch ihm nun sehr wertvoll ist, da er unter vielen Schweißtropfen und Mühen fertiggestellt wurde und ― fügen wir es bei! ― der Mühen würdig war. Und all das Seinige gibt der Hirte euch hin. Welche Hochherzigkeit oder, um es richtiger zu sagen, welche väterliche Liebe! Er gibt euch das Alter, die Jugend, den Tempel, den Hohenpriester, den Erblasser, den Erben und die Lehren, nach welchen ihr verlangtet, nicht eitle, in der Luft verfliegende, nur bis zu den Ohren reichende Lehren, sondern Lehren, die der Geist schreibt und auf Tafeln von Stein oder von Fleisch eingräbt, Lehren, die nicht auf die Oberfläche geritzt sind und leicht ausgelöscht werden können, die vielmehr tief eingezeichnet sind mit Gnade, nicht mit Tinte6.
Joh. 10, 15. ↩
Der überlieferte Text lautet: Καρποφορεῖ μὲν ὑμῖν, ὡς ὁρᾶτε, ποιμένα · τοῦτο γὰρ ἐλπίζει καὶ εὔχεται καὶ παρ’ ὑμῶν αἰτεῖ τῶν ὑπὸ χεῖρα ὁ ποιμὴν ὁ καλὸς ὁ τιθεὶς . . . . . . [Karpophorei men hymin, hōs horate, poimena: touto gar elpizei kai euchetai kai par’ hymōn aitei tōn hypo cheira ho poimēn ho kalos ho titheis....] Die Worte τοῦτο γὰρ . . ὑπὸ χεῖρα [touto gar .. hypo cheira] halte ich für eine Einschaltung; in diesen Worten kann nämlich das Subjekt nicht der „gute Hirte“ sein, ὁ ποιμὴν ὁ καλὸς [ho poimēn ho kalos] gehört als Subjekt nur zu καρποφορεῖ [karpophorei]. ↩
D. h. Christus schenkt der Gemeinde von Nazianz nun mehr einen doppelten Führer; er gibt ihr zu dem bisherigen Bischofe Gregor, dem Vater des Redners, auch noch dessen Sohn, der seinen Vater wegen hohen Alters in der Verwaltung und Leitung der Diözese unterstützt. Der Vater und der Sohn werden unten einander gegenübergestellt mit den Worten: das Alter und die Jugend, der Erblasser und der Erbe. ↩
Gemeint ist der alte Bischof Gregor. ↩
Es ist wohl darauf Bezug genommen, daß der Vater Gregors seinerzeit auf Befehl des Kaisers Konstantius ein zweideutiges arianisches Glaubensbekenntnis abgelegt hatte, in welchem vom Sohne Gottes gesagt war, er sei in allem dem Vater ähnlich nach der Hl. Schrift. ↩
Vgl. 2 Kor. 3, 3. ↩
