1.
XVII. Rede.
An die geängstigten Einwohner von Nazianz und an den zürnenden Statthalter1.
„In meinen Eingeweiden, in meinen Eingeweiden empfinde ich Schmerz und die Gefühle meines Herzens sind stürmisch“, sagt einmal in seinen Reden Jeremias2, der feinfühlendste unter den Propheten. Er klagt daselbst über den Ungehorsam Israels, das sich von der Liebe Gottes abgewendet hatte. Bildlich nennt er seine Seele „Eingeweide“. In dieser Weise wird sie oftmals in der Schrift bezeichnet, da die Seele gleich den Eingeweiden einerseits etwas Verborgenes und Unsichtbares ist, anderseits die Bestimmung hat, die geistige Nahrung aufzunehmen und gewissermaßen wiederzugeben; was nämlich für den Leib die Speise, ist für die Seele der Geist. „Die Gefühle“ sind wohl die Regungen und Gedanken der Seele und zwar vor allem jene, welche durch die Sinne veranlaßt werden und welche den Gerechten packen, erhitzen, aufregen und im Feuer des Geistes aus der Fassung bringen; denn das Verbum μαιμάσσειν [maimassein] (stürmisch werden) bedeutet ungestüme Leidenschaft. Versteht man aber unter den Gefühlen die des Körpers, so greift man auch nicht fehl, da auch Augen und Ohren nicht nur schmerzlich berührt werden, wenn sie Arges sehen, bzw. hören, sondern auch aus Mitleid sich sehnen, Besseres zu sehen, bzw. zu hören. Doch mag man den Ausdruck verstehen, wie man will, auf jeden Fall ist es der Gerechte, welcher Schmerz empfindet und stürmisch erregt wird. Und sehr erbittert ist Jeremias über die Leiden Israels, mag man nun darunter die von den Sinnen erfaßten körperlichen Drangsale verstehen oder die Leiden der Seele, welche vom Geiste wahrgenommen werden. Derselbe Prophet wünscht sich nämlich S. 343 an anderer Stelle eine Quelle von Tränen und sehnt sich nach einem völlig abgelegenen Orte und begehrt nach der Einsamkeit, um sein schmerzbeladenes Herz zu entleeren, in der Stille Israel zu beweinen und so in seinem Seelenleide etwas erleichtert zu werden.