2.
Wenn dies und Ähnliches nach wie vor im Leben des Getauften sich findet, so vermag ich nicht einzusehen, was geändert worden wäre, weil ich ja den nämlichen vor Augen habe, den ich vorher erblickte. Auch derjenige, den der Getaufte vorher gekränkt, verleumdet und aus seinem Besitztum vertrieben hat, merkt an ihm keine Veränderung. Nicht hören sie aus seinem Munde das Wort des Zachäus: „Wenn ich jemand betrogen, so ersetze ich es ihm vierfach“ (Luk. 19, 8). Was sie ihm vor der Taufe nachredeten, das erzählen sie auch nachher von ihm; mit demselben Namen nennen sie ihn auch jetzt noch einen Habsüchtigen, einen Menschen, der nach fremdem Eigentum verlangt und vom Unglück des Nächsten schwelgt. Wer also sich gleichbleibt und dennoch sich einreden möchte, durch die Taufe sei eine Veränderung bei ihm eingetreten, der beachte das Wort des heiligen Paulus: „Wenn einer, der nichts ist, etwas zu sein dünkt, der betrügt sich selbst“ (Gal. 6, 3). Denn was du nicht geworden bist, das bist du nicht.
Von den Wiedergebornen sagte aber das Evangelium: „So viele ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh. 1, 12). Wer aber jemands Kind geworden, der hat jedenfalls die nämliche Natur, wie sein S. 84 Vater. Hast du nun Gott aufgenommen und bist du ein Kind Gottes geworden, so zeige durch dein Tun und Lassen, daß Gott in dir wohnt, zeige, wer dein Vater ist! Durch die nämlichen Merkmale, durch die wir Gott erkennen, wird sich auch die Gottesverwandtschaft der wahren Kinder Gottes verraten. Gott nun „tut seine Hand auf und erfüllt alles, was da lebt, mit Freude“ (Ps. 144, 16 [hebr. Ps. 145, 16]); „er hasset das Unrecht“ (Mich. 7, 8); „er verabscheut das Böse“ (Jer. 26, 3); „mild ist der Herr gegen alle“ (Ps. 144, 9 [hebr. Ps. 145, 9]); „nicht alle Tage zürnt er“ (Ps. 7, 12 [hebr. Ps. 7, 12]); „gerade ist Gott der Herr und keine Ungerechtigkeit ist in ihm“ (Ps. 91, 15 [hebr. Ps. 92, 15]) [ber.: Ps. 91, 16 bzw. 92, 16], und was wir sonst an verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift über Gott hören. Wenn du solch gute Eigenschaften aufweisest, bist du wirklich ein Kind Gottes geworden; wenn du aber in deinen schlimmen Eigenschaften verharrst, so redest du dir vergeblich ein, von oben wiedergeboren zu sein; dann gilt das Wort des Propheten von dir: „Du bist eines Menschen Kind“ (Ps. 81, 6 [hebr. Ps. 82, 6]) und nicht Kind des Allerhöchsten. „Du liebst Eitelkeit und suchst Lüge“ (Ps. 4, 3 [hebr. Ps. 4, 3]). Weißt du nicht, auf welche Weise der Mensch wunderbar erhöht wird? Nicht anders als dadurch, daß er heilig wird.