2.
Dieser Gott nun, das Wort, die Weisheit, die Macht ward folgerichtig auch als Schöpfer der menschlichen Natur dargetan, nicht als ob er durch eine Notwendigkeit zur Erschaffung des Menschen getrieben worden wäre, sondern in übergroßer Liebe rief er dieses Lebewesen in das Dasein. Denn Gottes Licht sollte nicht ungeschaut, seine Herrlichkeit nicht unbezeugt, seine Güte nicht ungenossen, und die Reichtümer, die wir sonst noch an der Gottheit erkennen, nicht ungenützt bleiben, ohne daß jemand wäre, der daran teilnehmen und davon genießen könnte. Wenn nun der Mensch zu dem Zwecke ins Dasein trat, damit er an den Gütern Gottes Anteil habe, so mußte er notwendig eine solche Ausstattung empfangen, die ihn zur Teilnahme an jenen Gütern befähigt. Wie nämlich das Auge durch den von Natur in ihm vorhandenen Strahl das Licht aufnimmt, indem es durch seine angeborne Kraft das Verwandte an sich zieht, so mußte auch der menschlichen Natur etwas mit Gott Verwandtes verliehen werden, auf daß sie auf Grund der damit hergestellten Wechselbeziehung eine Neigung zu dem ihm Verwandten habe. Auch im Reiche der S. 13 unvernünftigen Geschöpfe sind die Wasser- und Lufttiere alle ihrer Lebensart entsprechend ausgerüstet, so daß infolge der besonderen Körperbildung den einen die Luft, den anderen das Wasser als das ihnen verwandte und angemessene Lebenselement erscheint.
Ähnlich mußte der Mensch, weil zum Genusse der göttlichen Güter geschaffen, zur Verwandtschaft mit dem erhoben werden, an dem teilzunehmen er bestimmt war. Darum ward er mit Leben, Vernunft und Weisheit und überhaupt mit allen gotteswürdigen Gaben gar herrlich ausgestattet, damit er durch jedes dieser Geschenke Verlangen trage nach dem, was ihm verwandt ist. Da nun zu den der göttlichen Natur zukommenden Gütern die Ewigkeit gehört, so durfte auch dieses Gut nicht völlig in der Ausrüstung unserer Natur fehlen, vielmehr mußte sie Unsterblichkeit besitzen, damit sie durch eine ihr angeborne Kraft imstande sei, das über sie Erhabene zu erkennen und Verlangen habe nach dem ewigen Gott. All dies will der Bericht über die Weltentstehung in einem einzigen Worte zusammenfassen und aussprechen, indem er nämlich erklärt, der Mensch sei nach „dem Bilde Gottes“ geschaffen worden (Gen. 1, 36 f.); denn in der Ähnlichkeit, die bis zur Ebenbildlichkeit sich erhebt, ist die ganze Reihe der Eigenschaften enthalten, welche der göttlichen Natur zukommen. Das Gesagte wird auch durch die Belehrungen bestätigt, welche Moses weiterhin, mehr in erzählender Form, uns gibt. Denn das Paradies und die Eigentümlichkeit seiner Früchte, deren Genuß den davon Kostenden Erkenntnis und ewiges Leben verleiht, sowie alle ähnlichen Ausführungen stimmen mit den Darlegungen überein, die wir soeben über die Menschennatur gegeben haben, nämlich, daß unsere Natur im Anfange gut und im Besitze von hohen Gütern war.