2.
Damals, als die rein geistige Welt schon bestand und jede der Engelmächte von der über alles herrschenden Majestät eine besondere Tätigkeit zur Instandhaltung des Universums angewiesen erhielt, hatte eine dieser Engelmächte von der höchsten Kraft unter Verleihung besonderer Gewalt den Auftrag bekommen, die untere Region innezuhaben und zu regieren. Als nun das aus Erde stammende Geschöpf als Ebenbild der höchsten Macht geschaffen ward ― dieses Lebewesen war der Mensch ― und durch eine geheimnisvolle Kraft die gottähnliche Schönheit der geistigen Natur mit ihm verbunden war, da hielt jener Geist, dem die Verwaltung des Irdischen zugeteilt war, es für schrecklich und unerträglich, daß aus der ihm untergeordneten Natur ein Wesen hervorginge, das Ähnlichkeit mit der höchsten Majestät habe. Wie aber dieser Geist, obwohl ihn der Schöpfer, der nur aus Güte alles ins Dasein rief, zu nichts Bösem erschaffen hatte, in die Leidenschaft des Neides versank, dies ausführlich zu erörtern gehört zwar zur gegenwärtigen Abhandlung nicht, aber vielleicht ist es angezeigt, auf die Sache in Rücksicht auf solche, welche hartgläubig sind, etwas einzugehen.
Der Unterschied zwischen Gut und Bös darf nicht so aufgestellt werden, als wenn es sich um zwei wirklich existierende Dinge handeln würde, sondern wie man bezüglich des Gegensatzes zwischen Existierendem und Nichtexistierendem nicht so verfahren darf, als ob das Nichtexistierende dem Existierenden als etwas Existierendes gegenüberstände, sondern nur erklären kann, die Nichtexistenz bilde den Gegensatz zur Existenz; auf die nämliche Weise steht die Schlechtigkeit dem Begriff der Tugend gegenüber, nicht als ob sie etwas für sich Existierendes wäre, sondern als etwas, was wir bei Abwesenheit des Guten zu denken haben. Und wie wir sagen, die Blindheit sei der Gegensatz zum Sehen, nicht als ob die Blindheit für sich in der Natur bestünde, sondern als Mangel einer vorher vorhandenen Fähigkeit, so erklären wir, die Schlechtigkeit trete durch die Beraubung des S. 18 Guten ein, wie das Dunkel durch das Verschwinden des Lichtes. Da nun1 bloß die ungeschaffene Natur einer Bewegung im Sinne von Wechsel und Veränderung unfähig ist, alles andere dagegen der Veränderung unterliegt, weil es ausnahmslos, insofern es vom Nichtsein in das Sein überführt wurde, selbst durch eine Veränderung zu existieren begann, da ferner der erwähnte geschaffene Geist auf Grund seiner freien Willensentschließung wählte, was er wollte, und da er endlich seinen Blick nicht auf den unendlich Guten und völlig Neidlosen richtete: so hat er, wie jeder, der mitten im Sonnenlicht das Auge mittels der Lider schließt, bloß Dunkelheit wahrnimmt, nur das dem Guten Entgegengesetzte erblickt. Und dies war der Neid.
Allgemein gilt der Anfang dessen, was geschieht oder ist, als die Ursache der daraus sich ergebenden Folgen. Auf Gesundheit folgt z. B. Wohlbehagen, Arbeitsfreudigkeit und Frohsinn, auf Krankheit dagegen Unbehagen, Untätigkeit und Mißmut. Ähnlich folgt auch alles übrige den Ursachen, mit denen es kraft des natürlichen Zusammenhanges verknüpft ist. Gleichwie also Leidenschaftslosigkeit den Anfang und die Grundlage des Tugendlebens bildet, so erscheint die durch den Neid entstandene Hinneigung zum Bösen als der erste Schritt zu allen nachher eingetretenen Übeln.
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In der langen Periode sind die entscheidenden Nebensätze durch den Druck hervorgehoben. ↩