2.
Die Ursache der Auflösung ergibt sich klar aus der angezogenen (biblischen) Erzählung. Weil nämlich die geistige Natur hoch über den Sinnesempfindungen steht, die Sinnlichkeit aber mit dem Gröberen und Irdischen verwandt ist und weil deshalb auf Grund der durch die Sinne vorgenommenen Prüfung die Entscheidung über das Gute in die Irre geführt wurde, dieser Irrtum hinsichtlich des Guten die Veränderung des ursprünglichen Zustandes in das gerade Gegenteil verschuldete, so wird der leibliche Teil von uns, weil er durch die Aufnahme des Bösen (= der verbotenen Frucht) von seiner Würde herabsank, der Auflösung preisgegeben. Der Gedanke, welcher der Erzählung zugrunde liegt, hat Ähnlichkeit mit folgendem: nehmen wir an, ein Gefäß bestehe aus Ton, dasselbe sei aber heimtückisch mit Blei ausgefüllt worden, welches sich dann, nachdem es hart geworden, nicht mehr entfernen lasse; wenn nun der Besitzer gerade dieses Gefäß wünscht und sich auf das Töpferhandwerk versteht, so kann er es zerbrechen und nach Beseitigung des Bleis in seine frühere Gestalt umformen, damit es seinem Gebrauche entspricht. Ähnlich wird der Bildner unseres Gefäßes, nachdem dem sinnlichen, das ist dem körperlichen Teile die Schlechtigkeit beigemischt ward, den Stoff, der das Böse in sich aufgenommen hatte, auflösen, von dem Beisatz reinigen und durch die Auferstehung neu formen, so daß das Gefäß wieder zur ersten Schönheit umgestaltet wird.
Da aber Leib und Seele an den sündhaften Affekten gemeinsam beteiligt sind und auch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Tod des Leibes und der Seele besteht ― wie wir bezüglich des Leibes dessen Trennung vom sinnlichen Leben allgemein Tod nennen, so geben wir S. 24 bezüglich der Seele der Trennung derselben vom wahren Leben den nämlichen Namen, weil nun, wie gesagt, die Beteiligung am Bösen für Leib und Seele die gleiche ist (durch beide tritt ja die Sünde in die Wirklichkeit), darum erfaßt zwar der Auflösungstod infolge des Anlegens jener Felle die Seele nicht (denn wie sollte das Nichtzusammengesetzte aufgelöst werden?), aber auch an ihr haften Sündenflecken, welche getilgt werden müssen, und deshalb ist ihr im gegenwärtigen Leben das Tugendstreben als Mittel zur Heilung solcher Wunden dargeboten. Bleibt sie aber ungeheilt, so wird die Kur im zukünftigen Leben vorgenommen.
Allein wie es verschiedene Krankheiten des Leibes gibt, von denen die einen leicht, die anderen schwieriger zur Heilung gelangen, wobei Schnitte, Brenneisen und bittere Tränke zur Hebung des dem Körper zugestoßenen Leidens angewendet werden, so stellt auch das künftige Gericht zur Heilung der Seelengebrechen Ähnliches in Aussicht was zwar für die Leichtfertigeren eine Androhung und Vorhaltung von Schrecknissen bedeutet, damit sie durch Furcht vor den schmerzlichen Gegenmitteln zur Besinnung gebracht werden und das Böse meiden, von den Einsichtigeren aber als ein Heil- und Kurverfahren von Seite Gottes angesehen wird, der sein Gebilde in den früheren Gnadenstand zurückversetzen will. Denn wie diejenigen, welche die am Körper widernatürlich entstandenen Hühneraugen und Warzen durch Schneiden und Brennen beseitigen wollen, zwar den von ihnen Behandelten nicht ganz schmerzlos die Heilung verschaffen, aber doch nicht zum Schaden der Patienten den Schnitt vornehmen, so werden auch alle Auswüchse der Materie, welche sich an unseren durch die Teilnahme an sündhaften Affekten verfleischlichten Seelen verhärtet haben, zur Zeit des Gerichtes ausgeschnitten und abgefeilt durch die unaussprechliche Weisheit und Macht dessen, der, wie das Evangelium sagt (Matth. 9, 12; Mark. 2, 17; Luk, 5, 31), die Kranken gesund macht; denn es heißt dort: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“
Weil aber die Seele enge mit dem Bösen verwachsen ist . . . ., gleichwie das Ausschneiden der Warzen die S. 25 Oberhaut schmerzt (denn der mit der Natur verwachsene Auswuchs hält mit einer Art Anhänglichkeit an seiner Grundlage fest, und es entsteht eine eigentümliche Verbindung des Fremdartigen mit unserem Körper, so daß, wenn der Auswuchs beseitigt wird, unser Gefühl Schmerz und Pein empfindet), ebenso stellen sich auch, wenn die Seele wegen der Vorwürfe über die Sünde, wie der Prophet irgendwo sagt (Ps. 39, 11 [hebr. Ps. 40, 11]), sich abhärmt und abquält, wegen der tiefgehenden Verknüpfung mit dem Bösen gewisse unaussprechliche und unbeschreibliche Schmerzen ein, die sich ebensowenig schildern lassen, wie die Natur der Güter, die wir hoffen; denn weder diese noch jene erreicht die Macht der Rede oder das Forschen des Verstandes.