2.
Wenn nun, wie dargetan, die Geburt an sich kein Leiden im eigentlichen Sinne genannt werden kann, dann auch nicht das Leben. Freilich gibt die Wollust den Anstoß zur Geburt des Menschen, und die Neigung zum Bösen haftet wie eine Krankheit an unserer Natur: aber der Menschgewordene blieb von beiden Übeln frei, wie das Geheimnis lehrt. War nun die Wollust bei seiner Geburt ausgeschlossen und das Böse aus seinem Leben, wo bliebe dann noch Platz für ein wirkliches Leiden im dargelegten Sinn, mit welchem Gott nach unserer Glaubenslehre in Verbindung getreten wäre?
Wollte aber jemand die Trennung der Seele und des Leibes als ein Leiden bezeichnen, so hätte er mehr Grund, die Verbindung beider so zu nennen. Ist nämlich die Trennung des Verbundenen ein Leiden, dann verdient auch die Verbindung des Getrennten diesen Namen; denn eine Veränderung bedeutet sowohl die Verbindung des Getrennten als auch die Trennung des Verbundenen; daher muß man der letzteren Veränderung den nämlichen Namen geben wie der ersteren. Ist aber die erste Veränderung, welche wir Geburt nennen, kein eigentliches Leiden, so auch nicht die zweite Veränderung, welche wir S. 38 Tod nennen, durch den nämlich Leib und Seele geschieden werden. Von Gott nun glauben wir, daß er die beiden Veränderungen, die unserer Menschennatur zukommen, an sich erfahren habe: sowohl diejenige, durch welche die Seele sich mit dem Körper verbindet, als auch jene, durch welche die Seele vom Körper geschieden wird.