2.
Wenn nun bei den Großtaten Gottes alle seine herrlichen Eigenschaften notwendig zusammenwirken, so wollen wir zusehen, ob der Ratschluß der Menschwerdung eine der Vollkommenheiten vermissen läßt, die wir geziemenderweise Gott zuschreiben! Vor allem verlangen wir nun, daß sich in diesem Geheimnis die Güte Gottes offenbare; wie könnte aber Gott seine Güte deutlicher zeigen als dadurch, daß er dem Menschen, nachdem er zum Feinde übergegangen war, nacheilte, um ihn zu erretten, daß er seiner im Guten beharrlichen und unveränderlichen Natur treu blieb trotz der Veränderlichkeit des menschlichen Willens? Denn er wäre nicht gekommen, um uns zu erlösen, wenn ihm nicht, wie David sagt, seine Güte diesen Plan eingegeben hätte (Ps. 105, 4 [hebr. Ps. 106, 4] vgl. Ps. 118, 55 [hebr. Ps. 119, 55]). Aber die Güte, die in diesem Plane zum Ausdruck kam, hätte nichts genützt, wenn nicht die Weisheit seiner Liebe zu uns Menschen zur Ausführung des Heilsplanes beigestanden wäre. Denn wenn jemand erkrankt, so gibt es zwar viele, welche den Wunsch haben, ihn bald wieder von seinen Leiden befreit zu sehen; nur diejenigen aber können ihren guten Willen zur Ausführung bringen, welche Verständnis und Geschicklichkeit zur Krankenheilung haben. Also muß sich Weisheit mit der Güte verbinden.
Wie zeigt sich nun bei der Menschwerdung, die uns jetzt beschäftigt, die Verbindung von Weisheit und Güte? Dadurch, daß wir den guten Vorsatz gar nicht hätten erkennen können, wenn er für sich allein geblieben wäre. Denn wie käme der Vorsatz zur Erscheinung, wenn er S. 44 nicht in den entsprechenden Taten zur Äußerung kommt? Die Ereignisse aber beweisen durch ihre treffliche Verknüpfung und durch ihre richtige Reihenfolge deutlich, welche große Weisheit und Kunst die göttliche Heilsordnung in sich schließt. ― Da jedoch die Weisheit erst durch ihre Verbindung mit der Gerechtigkeit zur Vollkommenheit wird, ohne diese aber nicht als gut bezeichnet werden könnte, so geziemt es sich, diese beiden, ich meine die Weisheit und die Gerechtigkeit, auch hinsichtlich der Menschwerdung ins Auge zu fassen.