II. Kapitel: Anrede an die Kirche und an die Zuhörer, man möge Nachsicht schenken und die Fehler verbessern.
Inhaltsangabe:
1. Höre, o Kirche, und achtet, o Fromme, mehr auf die Wahrheit und den guten Willen, als auf den Glanz der Rede und den Redner. 2. Die Liebe treibt mich, so Schweres zu wagen. 3. Die Verständigen mögen die Fehler verbessern. 4.Der Vater und der Sohn mögen ihren Beistand gewähren, ohne den nichts Tüchtiges zu erwarten wäre; wer ihn aber hat, darf sich der Aufgabe nicht entziehen.
Höre also zu, heiliger Jungfräulichkeit teilhaftig gewordene Schiffsherrin, Kirche, zarten und unerfahrenen Alters treu besorgte Pflegerin, die du um die Wahrheit dich sorgest, sorgst um die Liebe, aus deren ewig fließendem Quell der Trank des Heiles träufelt. Aber auch ihr höret wohl gütig zu, die ihr aufrichtigen Herzens Gott verehret — weshalb ihr auch Gegenstand seiner Fürsorge gewesen seid1 —, wenn ihr eure Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Worte als vielmehr auf die Wahrheit des Vorgetragenen, nicht auf mich, den Redner, sondern auf den frommen Eifer meiner Heiligkeit richtet. Welchen Gefallen könnte denn eine Rede finden, wenn man nicht die Gesinnung des Redners prüft? Ich wage nun gewiß Großes, doch messe ich die Schuld an S. 197diesem Wagnisse meiner angeborenen Liebe zum göttlichen Wesen bei; denn diese tut auch meiner Schüchternheit Gewalt an. Darum nehme ich ganz besonders euch, die ihr in den göttlichen Geheimnissen erfahren seid, zu meinen Helfern, damit ihr aufmerksam folget und, so ein Fehler in meinen Worten unterläuft, ihn verbessert; doch dürft ihr dabei nicht die höchste Gelehrsamkeit suchen oder auch der Überzeugungskraft, die sich bei dem Unternehmen zeigt, die Anerkennung versagen2 . Möge uns im reichsten Maße die Eingebung des Vaters und seines gnadenspendenden Sohnes beistehen3 , da ich das rede, was sie wohl selber kundtun und ins Herz legen will! Denn wenn sich jemand mit der Redekunst oder mit irgend einer andern Kunst befaßt und vermeint, ohne Gott sein Werk gut ausführen zu können, so wird er und auch was er erstrebt, als unzulänglich erfunden4 . Nicht darf jedoch zaudern und zuwarten, wer je göttlicher Eingebung teilhaftig geworden ist. Darum wollen auch wir mit der Bitte um Entschuldigung wegen des langen Einganges unser Thema glücklich durchzuführen suchen.
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Aus der Verfolgung hat Gott die Christen zum Siege geführt. ↩
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To piston thj epiceirhsewj könnte sowohl auf die Glaubenskraft oder die reine Absicht Konstantins als auf die Überzeugungskraft seiner Beweisführung gehen. ↩
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Bemerkenswert ist das Fehlen des Hl. Geistes. ↩
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Der Gedanke stammt aus Plato Phaedrus 245 A. ↩