10.
Die Evakuierung der Stadt muß jedoch wenigstens anfangs nicht so gründlich gewesen sein, als es nach der Darstellung bei Ammian den Anschein hat. Denn der hl. Ephräm, der diese Katastrophe miterlebte und sie in den hier übersetzten Liedern beklagt, rühmt in den Schlußstrophen des zweiten Liedes [II, 22f.; 26f.] vom Perserkönig, daß er die christliche Kirche in Ehren hielt, während er die heidnischen Tempel zerstörte, und dass er „uns nicht in die Verbannung trieb und zerstreute, sondern im Heimatlande ließ“. Es scheint also der Perserkönig die Christen besser als die Heiden behandelt und denselben das Bleiben gestattet zu haben. Doch muß diese Vergünstigung bald wieder rückgängig gemacht worden sein; denn wir finden später den hl. Ephräm zu Amida wieder, wohin die Nisibener übergesiedelt worden waren.
Daraus ist zu schließen, wie schon von Bickell1geschah, daß diese Lieder bald nach der Übergabe der Stadt an die Perser, aber noch vor der Auswanderung der Christen nach Amida, also wohl noch vor Ende 363 gedichtet und in Umlauf gesetzt wurden.
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Zeitschrift für kath. Theologie, Innsbruck 1878 [2. Jahrg.], S. 336. ↩