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So oft nämlich irgendwo etwas Ungewöhnliches und Außerordentliches geschieht, und ein neuer Plan der Vorsehung zur Ausführung gelangen soll, wirkt Gott S. 232jedesmal Wunderzeichen. Er will damit denen, die seine Satzungen empfangen sollen, ein Unterpfand seiner Macht bieten. so z.B. schuf er zuerst das gesamte Weltall, als er den Menschen bilden wollte, und dann erst gab er ihm das bekannte Gebot im Paradiese. Als er daranging, dem Noe sein Gesetz zu geben1 , hat er ebenfalls wieder große Wunderdinge gewirkt, indem er die gesamte Schöpfung erneuerte, jene schreckliche Flut ein ganzes Jahr lang herrschen ließ, und trotz der Überschwemmung jenen Gerechten rettete. Auch zur Zeit Abrahams hat er viele Wunder gewirkt, so z.B. verlieh er ihm den Sieg im Kampfe2 , ließ die Plagen über Pharao kommen3 , und rettete ihn aus allen Gefahren. Als er sodann den Juden das Gesetz geben wollte, hat er ebenfalls zuerst die bekannten außergewöhnlichen und großen Wunderzeichen getan und dann erst das Gesetz gegeben. So ging es auch hier; er wollte ein großes Werk beginnen, wollte den Juden Dinge sagen, die sie noch nie gehört hatten, deshalb bekräftigt er sein Wort durch Wundertaten. Das Reich, das er verkündete, war ja kein sichtbares; darum lässt er sie das Unsichtbare durch sichtbare Dinge erkennen. Beachte aber auch, wie kurz der Evangelist sich fasst, wie er uns nicht jede wunderbare Heilung einzeln erzählt, sondern in wenigen Worten eine ganze Menge von Wunderzeichen abtut. Er schreibt
V.24: „Man brachte zu ihm alle, die mit irgendeiner Krankheit behaftet waren, die von Schmerzen gepeinigt wurden, die Besessenen, die Mondsüchtigen, und die Gelähmten, und er heilte sie.“
Da erhebt sich aber die Frage: Warum verlangte er von keinem aus ihnen den Glauben? Er sagte hier nicht, was wir später von ihm hören werden: „Glaubet ihr, dass ich die Macht besitze, solches zu tun?“4 . Nun, er hatte eben damals noch keinen Beweis seiner Macht S. 233gegeben. Übrigens beweist schon das kein geringes Maß von Glauben, dass sie überhaupt kamen und die Kranken zu ihm brachten. Sie brachten nämlich dieselben von sehr weit her, was sie gewiss nicht getan hätten, hätten sie selbst kein großes Vertrauen auf ihn besessen. Folgen also auch wir dem Herrn; denn auch wir haben eine Menge von Seelenkrankheiten, und diese will er vor allen anderen heilen. Gerade deshalb hat er ja jene leiblichen Krankheiten geheilt, um diese geistigen aus unserer Seele zu vertreiben. Kommen wir also zu ihm, aber verlangen wir nichts Weltliches von ihm, sondern bitten wir um Verzeihung für unsere Sünden; die gewährt er uns auch jetzt noch, wenn wir ihn nur eifrig darum bitten. Damals war ja sein Ruf nur erst bis Syrien gedrungen; jetzt hat er sich über die ganze Welt verbreitet. Jene eilten herbei, nachdem sie gehört hatten, er habe Besessene geheilt; du aber kennst seine Macht viel mehr und besser, und du stehst nicht auf und eilst nicht zu ihm? Jene verließen ihre Heimat, Freunde und Verwandten; du willst nicht einmal dein Haus verlassen, um zu ihm zu gehen und noch viel größere Wohltaten zu empfangen? Indes, ich verlange nicht einmal das von dir; aber lass nur wenigstens ab von deinen schlechten Gewohnheiten, dann kannst du leicht dein Heil wirken mitsamt den Deinigen, auch wenn du zu Hause bleibst.
Ja, wenn wir ein körperliches Leiden haben, dann tun wir alles und scheuen keine Mühe, um von unseren Schmerzen befreit zu werden; wenn es aber mit unserer Seele schlecht steht, dann zögern wir und zaudern. Deswegen werden wir aber auch von jenen nicht befreit, weil wir die Hauptsache zur Nebensache machen, und die Nebensache zur Hauptsache. Die Ursache5 des Übels lassen wir außeracht, die Folgen aber wollen wir ausrotten. Dass nämlich die Verderbtheit auch an den leiblichen Krankheiten schuld ist, das sehen wir deutlich an dem Manne, der achtunddreißig Jahre lang gichtbrüchig war6 , an dem anderen, S. 234den man vom Dache herunterließ, und schon vor diesen an Kain; auch an vielen anderen Beispielen kann man die gleiche Beobachtung machen. Reißen wir also die Wurzel des Übels aus, und alle krankhaften Schößlinge werden absterben. Es ist eben nicht bloß der körperliche Lähmung eine Krankheit, sondern auch die Sünde, ja diese noch mehr als jene, weil ja auch die Seele höheren Wert hat als der Leib. Nehmen wir also auch jetzt zum Herrn unsere Zuflucht; bitten wir ihn, er möge unserer gelähmten Seele die Stärke wiedergeben; lassen wir alle irdischen Wünsche beiseite und bringen wir nur geistige vor. Wenn du aber auch noch an irdischen Wünschen festhältst, lass wenigstens den geistigen den Vorrang. Achte es auch nicht gering, dass du über deine Sünden keinen Schmerz empfindest; im Gegenteil, denn gerade das sollte dich am meisten betrüben, dass du das Gefühl für die Sünde verloren hast. Das kommt nicht etwa davon, dass die Sünde an und für sich keine Gewissensbisse verursachte, sondern davon, dass die sündige Seele abgestumpft worden ist. Schau auf diejenigen, die ihrer eigenen Sünden wohl bewusst sind, wie sie bitterer stöhnen, als jene, die geschnitten und gebrannt werden; sieh, wieviel sie tun, wieviel sie dulden, wieviel sie trauern und weinen, um von den Vorwürfen ihres Gewissens ob ihrer Sünde befreit zu werden; das würden sie gewiss nicht tun, wenn sie nicht wahren Seelenschmerz empfänden.