1.
V.1: „Sehet darauf, dass ihr eure Almosen nicht vor den Menschen gebet, um von ihnen angesehen zu werden.“
Der Herr will hier die gewaltigste aller Leidenschaften ausrotten, die Gier und die Sucht nach eitlem Ruhm, welche in denen entsteht, die Gutes tun. Anfangs sagte er davon nichts. Es wäre ja auch unnütz gewesen, bevor er den Juden gesagt hatte, was ihr Pflicht sei, und sie nicht darüber belehrte, wie sie dieselbe zu erfüllen und anzugreifen hätten. Nachdem er sie aber zur Tugend angeleitet hatte, so greift er zuletzt auch das Übel an, das meist im Schatten der Tugend sich einschleicht. Diese Krankheit entsteht nämlich nicht so ohne weiteres, sondern erst dann, wenn wir uns durch die Beobachtung der Gebote einmal große Verdienste erworben haben. Zuerst musste er also die Tugend pflanzen und dann erst das Laster beseitigen, das die Frucht der Tugend verdirbt. Beachte da auch, womit er beginnt. Mit dem Fasten, Beten und Almosengeben. Gerade bei diesen Tugendübungen pflegt sich ja dieses Laster am ehesten einzunisten. So ward zum Beispiel der Pharisäer deswegen aufgeblasen und sagte: „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von dem, was ich habe“1. Ja selbst im Gebete sucht er seine Eitelkeit zu befriedigen, denn er verrichtete es nur, um gesehen zu werden. Da nämlich sonst gerade niemand da war, so zeigte er sich wenigstens vor dem Zöllner und sagte: „Ich bin nicht wie die übrigen Menschen, auch nicht wie dieser Zöllner da“2. Beachte ferner auch, wie der Herr S. 342 anfing. Er redete, wie wenn es sich um ein wildes Tier handelte, das schwer zu fangen ist, dagegen den wohl zu packen vermag, der nicht ungemein achtsam ist. „Sehet gut zu auf euer Almosen“, sagt er. Ebenso sagt auch der hl. Paulus zu den Philippern: „Habt acht auf die Hunde“3 . Der Hund kommt ja heimlich herein, spürt alles geräuschlos aus und trägt unvermerkt von dannen, was gerade darin ist. So legte also der Herr dem Almosen große Wichtigkeit bei und berief sich dafür sogar auf Gott, „der die Sonne aufgehen lässt über die Bösen und die Guten“; munterte auf jede Weise dazu auf und hieß uns durch reichliche Spenden uns auszeichnen. Zuletzt beseitigt er auch noch alles, was diesem ehrlichen Ziele im Wege stehen könnte. Deshalb sagt er: „Habt wohl acht auf euer Almosen, dass ihr es nicht vor den Menschen spendet“; denn das Almosen, von dem er vorhin sprach, ist das Almosen um Gottes willen. Darum fügte er auch den Worten: „dass ihr es nicht vor den Menschen spendet“ hinzu: „um von ihnen angesehen zu werden“. Es scheint da, als hätte der Herr zweimal das gleiche gesagt. Wenn man aber genau zusieht, so ist es nicht das gleiche, sondern das eine ist verschieden vom anderen. Auch beweist er dabei große Vorsicht und unendliche Fürsorge und Schonung. Man kann nämlich Almosen auch vor den Menschen geben, ohne die Absicht zu haben, von ihnen gesehen zu werden; und es kann sein, dass man es nicht vor ihnen gibt und doch die Absicht hat, gesehen zu werden. Darum wird auch nicht die Tat an sich, sondern die Absicht bestraft oder belohnt. Würde nicht diese genaue Unterscheidung gemacht, so würden manche deswegen im Almosengeben nachlässig werden, weil es doch nicht immer möglich ist, das Almosen ganz im Verborgenen zu spenden. Deshalb befreit er dich aus dieser Zwangslage, indem er Strafe und Lohn nicht nach dem Zweck der Handlung, sondern nach der Absicht des Handelnden bestimmt. Damit du nicht sagest: „Was schadet es mir, wenn ein anderer es sieht?“ so erwidert er: Nicht S. 343 darauf achte ich, sondern auf deine Absicht und auf die Art und Weise, wie du das Almosen gibst. Der Herr will eben die Seele schmücken und sie von jeder Makel befreien. Darum verbot er, Almosen aus Eitelkeit zu geben und belehrte die Jünger über die schändlichen Folgen, die es hat, wenn man sie nutzlos und vergebens spendet. Dann richtet er ihre Gedanken wieder auf durch den Hinweis auf den Vater und auf den Himmel, um sie nicht bloß durch Furcht vor Strafe zurückzuhalten, sondern auch durch die Erinnerung an den Vater auf sie einzuwirken. „Sonst“, sagt er, „habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater, der im Himmel ist.“ Doch bleibt Christus auch hier nicht stehen, sondern geht noch weiter und sucht uns auch durch andere Motive eine große Abneigung4 beizubringen. Wie er vorher die Zöllner und Heiden anführte, um durch deren persönliche Eigenschaften diejenigen zu beschämen, die sie nachahmen, so erwähnt er jetzt die Heuchler und sagt:
V.2: „Wenn du also Almosen gibst, so lass nicht die Trompete vor dir blasen, wie die Heuchler.“
Damit soll nicht gesagt sein, dass die Heuchler Trompeten hatten. Vielmehr will der Herr durch diesen Vergleich nur deren große Torheit veranschaulichen, sie damit bloßzustellen und beschämen. Und mit Recht nannte er sie Heuchler. Denn dem Scheine nach war es ein Akt der Barmherzigkeit, ihre wirkliche Gesinnung hingegen war Roheit und Unmenschlichkeit. Sie geben ja ihre Almosen nicht, weil sie mit ihren Mitmenschen Erbarmen haben, sondern nur um gerühmt zu werden. Es ist aber nur ein Beweis von größter Roheit, während ein anderer Hungers stirbt, seinem Ehrgeiz dienen zu wollen, und nicht der Not zu steuern. Nicht darauf also kommt es an, dass man ein Almosen gibt, sondern auf das wie und weshalb man es gibt.