2.
Das ist also der Grund, weshalb der Herr zuerst die kranke Frau heilte und sie deswegen an die Öffentlichkeit zog. Dass nämlich jener Synagogenvorsteher noch zu den ganz Schwachgläubigen gehörte, das kannst du aus den Worten entnehmen, die der Herr zu ihm sprach: „Fürchte nichts, habe du nur Glauben und sie wird gesund werden“1 . Er wartete absichtlich, bis das Mädchen gestorben war, damit an der Wirklichkeit der Auferweckung durchaus kein Zweifel herrschen könnte. Deshalb ging er auch sehr langsam und redete verschiedenes mit der Frau, damit das Mädchen inzwischen sterbe und die Leute kämen, ihren Tod zu melden und zu sagen: „Belästige den Herrn nicht weiter.“ Das gibt uns andeutungsweise auch der Evangelist zu verstehen mit den Worten: „Während er noch sprach, kamen die Leute aus dem Haus und sagten: Deine Tochter ist gestorben; belästige den Meister nicht länger“2 . Der Herr wollte eben, dass der Tod zuerst ganz sicher festgestellt wäre, damit niemand Zweifel über die Auferweckung haben könnte. So machte es der Herr auch sonst immer. Beim Lazarus z.B. wartete er einen, zwei, ja drei Tage lang. Aus all diesen Gründen zieht also Christus die blutflüssige Frau in die Öffentlichkeit und sagte zu ihr:
V.22: „Sei guten Mutes, meine Tochter.“ Auch zu dem Gichtbrüchigen hatte er so gesagt:
"Sei guten Mutes, mein Sohn“3 . Die Frau war eben sehr furchtsam. Darum sagte er: „Sei guten Mutes“ und nannte sie seine „Tochter“. Der Glaube hat sie ja zur Tochter gemacht. Dann folgte auch das Lob: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Lukas berichtet S. d440 uns noch etwas mehr von dieser Frau. Als sie zum Herrn hingegangen war, schreibt er, und sie ihre Gesundheit wieder erlangt hatte, rief Christus sie nicht sogleich, sondern fragte zuerst: „Wer ist es, der mich berührt hat?“ Da sagte Petrus und die Umstehenden: „Meister, die Menge drängt und stößt Dich und Du fragst: Wer hat mich berührt?“4 „Er aber“, heißt es bei Lukas, „bestand darauf und sagte: Es hat mich jemand berührt; denn ich habe gemerkt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist“5 . Diese Antwort war der tatsächlichen Einsicht der Zuhörer angepasst. So sprach er indessen, damit er auch die Frau aus sich selbst zu einem Geständnisse brächte. Deshalb hat er sie auch nicht sofort ins Verhör genommen; er wollte zuerst zeigen, dass er alles ganz gut wisse, und sie dadurch veranlassen, von selbst alles zu bekennen und das Geschehene bekannt zu machen. Auf diese Weise brauchte nicht er es zu sagen und entging so jedem Verdacht.
Siehst du, wie die Frau besser ist, als der Synagogenvorsteher? Sie hielt ihn nicht zurück, sie fasste ihn nicht an; sie berührte ihn nur mit den Fingerspitzen und so konnte sie, die zuletzt kam, als zuerst geheilt fortgehen. Der Vorsteher führte gleich den ganzen Arzt in sein Haus; der Frau genügte schon eine einfache Berührung. Denn wenn sie auch an das Leiden gleichsam gebunden war, der Glaube gab ihr Flügel. Beachte aber, wie der Herr sie tröstete mit den Worten: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Hätte er sie nur in die Mitte genommen, um sich zu zeigen, so hätte er das nicht hinzugefügt. Er sagte es aber, um den Synagogenvorsteher dadurch zum Glauben zu bringen und die Frau zu loben; und durch ihre leibliche Heilung hat er ihr nicht weniger Freude und Nutzen verschafft, als durch diese Worte. Hieraus ergibt sich ganz klar, dass er so handelte nicht um sich selbst zu S. d441 verherrlichen, sondern um die Frau zu ehren und die anderen zu belehren. Er selbst sollte ja ohnehin auch ohne dies berühmt werden, denn die Wunderzeichen umgaben ihn ja dichter als Schneeflocken, und viel größere Taten als diese hatte er schon gewirkt und wollte er noch wirken. Wäre das also nicht geschehen, so wäre die Frau unvermerkt fortgegangen, ohne dieses große Lob erhalten zu haben. Deshalb zog sie der Herr in die Öffentlichkeit, um ihr Lob zu verkünden, und benahm ihr die Furcht6 ; er hieß sie Mut schöpfen und schenkte ihr außer der Gesundheit des Leibes auch noch andere Gnaden, indem er sagte: „Gehe in Frieden“7 .
V.23: „Als er aber in das Haus des Vorstehers gekommen war, und die Flötenspieler sah und die lärmende Menge, sprach er:
V.24: Gehet fort; das Mädchen ist nicht tot, es schläft nur. Und sie verlachten ihn.“
Das sind doch merkwürdige Zeichen eines Synagogenvorstehers, bei einem Todesfall durch Flöten und Zimbeln zur Trauer stimmen zu wollen. Was tat da Christus? Er schickte alle hinaus, nur die Eltern führte er hinein, damit niemand nachher sagen könnte, er habe das Mädchen auf irgendeine andere Art geheilt. Und bevor er sie noch auferweckt, richtete er8 auf mit den Worten: „Das Mädchen ist nicht tot; es schläft nur.“ So machte es der Herr immer. Auf dem Meere z.B. tadelte er zuerst die Jünger; ebenso beruhigte er hier zuerst die stürmische Trauer der Anwesenden; damit zeigte er zugleich, dass es für ihn ein Leichtes ist, Tote aufzuerwecken; (auch bei Lazarus machte er es so und sprach: "Lazarus, unser Freund, schläft"9). Zugleich gibt er die Lehre, dass man den Tod nicht fürchten soll. Er selbst sollte ja auch sterben. Deshalb bereitete er seine Jünger an dem Beispiel anderer Toten zum voraus darauf vor, mutig zu sein S. d442 und den Tod geduldig zu ertragen. Denn, nachdem er einmal in die Welt gekommen, war ja der Tod hinfort nur noch ein Schlaf. Gleichwohl verlachten sie ihn. Er aber wurde nicht ungeduldig, da er keinen Glauben fand in einer Sache, in der er gleich darauf ein Wunder wirken wollte. Auch tadelte er diejenigen nicht, die lachten, damit er selbst, die Flöten, die Zimbeln und alles andere für den wirklichen Tod des Mädchens Zeugnis ablegten.
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Lk 8,50 ↩
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Mk 5,35 ↩
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Mt 9,2 ↩
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Das ist der deutlichste Beweis, dass der Herr einen wirklichen Leib hatte und allen Ehrgeiz mit Füßen trat. Denn die Menge folgte ihm nicht aus der Ferne, sondern umringte ihn von allen Seiten. ↩
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Lk 8,46 ↩
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„denn“, heißt es, „unter Zittern nahte sie sich ihm“ ↩
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Lk 8,48 ↩
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die Trauergäste ↩
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Joh 11,11 ↩