3.
Aus all dem magst du nun ersehen, welche Macht er besitzt. „Ich sage dir, du bist Petrus, ich werde die Kirche gründen; ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben.“ Nach diesen Worten
V.20: „Da gebot er den Jüngern, sie sollten zu niemanden sagen, dass er der Christus ist.“
Weshalb verbot er es ihnen? Damit erst alle Ärgernisse beseitigt, der Kreuzestod vollendet, alle seine Leiden vorüber und nichts mehr übrig wäre, was den Glauben des Volkes an ihn erschüttern und trüben könnte; dann erst sollte die wahre und richtige Meinung über ihn rein und fest in die Herzen der Zuhörer eingeprägt werden. Noch hatte ja seine Macht nicht ihren vollen Glanz entfaltet. Darum wollte er, dass die Apostel ihn erst dann verkündeten, wenn die offenkundige Wahrheit der Tatsachen und die Wucht der Ereignisse ihren Worten Nachdruck verliehe. Es war ja auch nicht einerlei, zu sehen, wie er in Palästina bald Wunder wirkte, bald verspottet und beschimpft wurde, namentlich, da auch noch der Kreuzestod auf seine Wunder folgen sollte, und zu sehen, wie man ihn in aller Welt anbetet, an ihn glaubt, und wie er von all dem, was er S. d774 leiden musste, nichts mehr zu leiden braucht. Deshalb befahl er ihnen, niemanden etwas davon zu sagen. Denn wenn ein Ding einmal bei dem Volke Wurzel gefasst hat und dann ausgerissen wird, kann es nur schwer wieder eingepflanzt und erhalten werden; was aber einmal gefestigt ist und ungestört bleibt und von keiner Seite Schaden leidet, das wächst empor und nimmt immer mehr zu. Wenn schon diejenigen, welche Zeugen so vieler Wunder gewesen waren und an so vielen unaussprechlichen Geheimnissen teilgenommen hatten, beim bloßen Hören Anstoß nahmen, ja nicht nur diese, sondern sogar Petrus, der erste von allen, so kannst du dir vorstellen, wie es wohl dem Volke ergangen wäre, wenn man ihm zuerst gesagt hätte, Christus sei der Sohn Gottes, und sie dann gesehen hätten, wie er gekreuzigt und angespieen wurde, besonders da sie in den tieferen Sinn dieser Geheimnisse noch nicht eingedrungen waren, den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatten. Mußte der Herr ja sogar zu den Jüngern sprechen: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, jedoch ihr könnt es jetzt nicht fassen“1 ; um wieviel mehr hätte das übrige Volk Anstoß genommen, wenn er ihnen vor der Zeit das erhabenste dieser Geheimnisse geoffenbart hätte. Das ist also der Grund, warum er ihnen zu reden verbot.
Damit du also zur Erkenntnis kommst, wie wichtig es war, erst dann den vollen Inhalt der Lehre zu erfahren, wenn die Gründe des Anstoßes nicht mehr vorhanden waren, so nimm gerade den obersten der Apostel als Beispiel. Gerade er, Petrus, zeigte sich trotz so großer Wunder so schwach, dass er sogar den Herrn verleugnete und vor einer einfachen Magd Furcht hatte; nachdem aber der Kreuzestod vorüber und die Auferstehung klar erwiesen und nichts mehr übrig war, was ihm zum Anstoß oder zur Beunruhigung hätte gereichen können, da hielt er an der Lehre des Heiligen Geistes so unerschütterlich fest, dass er mit dem Mute eines Löwen vor das Judenvolk hintrat, ob auch tausendmal Gefahren und Tod drohten. Es war demnach wohl am Platze, dass Christus befahl, der Menge vor seiner Kreuzigung S. d775 nichts zu sagen, da er ja vor seinem Kreuzestode selbst ihnen, die später predigen sollten, nicht alles zu eröffnen wagen durfte. Denn: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“ Sie verstehen auch vieles von dem nicht, was er sagte, da er es ihnen vor seiner Kreuzigung nicht verständlich machte. Erst nach seiner Auferstehung ging ihnen das Verständnis von einigen seiner Reden auf.
V.21: „Von da an begann Jesus seinen Jüngern begreiflich zu machen, dass er leiden müsse.“
Wann, von da an? Als er sie in seiner Lehre gefestigt hatte, als er auch die Erstlinge der Heiden zugelassen hatte. Aber auch so verstanden sie seine Rede noch nicht. Denn, heißt es: „Dieses Wort war verborgen vor ihnen“2 . Sie waren wie in einem Dunkel befangen, und wussten nicht, dass er auferstehen sollte. Deshalb verweilte er auch lange bei diesen schwierigen Punkten und redet ausführlich darüber, um ihnen Einblick zu gewähren, und damit sie verständen, was seine Worte zu bedeuten haben. Aber „sie verstanden nichts davon, und was er sagte, war verborgen vor ihnen“ und sie scheuten sich, ihn zu fragen; nicht ob er sterben werde, sondern wie und auf welche Weise, und was es mit diesem Geheimnis für eine Bewandtnis habe. Denn sie begriffen nicht, was diese Auferstehung zu bedeuten haben sollte und hielten es für besser, nicht zu sterben. Da nun alle bestürzt und voller Zweifel waren, nimmt sich Petrus wieder in seinem Eifer allein das Herz, darüber zu reden, aber doch nicht öffentlich, sondern allein, d.h. abgesondert von den übrigen Jüngern. Er sagte:
V.22: „Ferne sei es von Dir, Herr, nimmer soll Dir solches begegnen.“
Wie ist nun das zu verstehen? Petrus hat eine Offenbarung erhalten, er ist selig gepriesen worden und kommt so schnell zum Straucheln und zu Falle, dass er vor dem Leiden Angst hat? Allein, darf es wundernehmen, dass ihm das widerfährt, da er darüber keine S. d776 Offenbarung empfangen hatte? Damit es dir klar werde, dass er seine früheren Worte nicht aus sich selbst gesprochen hatte, betrachte, wie er in den Dingen über die ihm nichts geoffenbart worden war, befangen und unsicher ist und das Gesagte nicht versteht, auch wenn er es tausendmal hört. Dass Christus der Sohn Gottes ist, das hatte er begriffen; aber das Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung war ihm noch nicht klar geworden. „Denn die Rede“, heißt es, „war vor ihnen verborgen.“ Siehst du jetzt ein, wie richtig der Herr handelte, dass er es den übrigen mitzuteilen verbot? Denn, wenn schon diejenigen, die es erfahren mussten, derart in Bestürzung gerieten, wie wäre es erst den übrigen ergangen? Um also zu zeigen, dass er durchaus nicht wider seinen Willen sich dem Leiden unterzog, tadelt der Herr den Petrus und heißt ihn einen Satan.