9. Die Bischöfe Euphrates und Vincentius und der in Antiochien gegen sie unternommene Anschlag
Stephanus, der das Steuerruder der Kirche von Antiochien in Händen hielt und das Schiff dem Untergang entgegenführte, hatte bei seinen verwegenen und gewalttätigen Unternehmungen verschiedene Genossen, mit deren Hilfe er den Anhängern der wahren Lehre mannigfaches Leid zufügte. An der Spitze derselben stand ein gewisser junger Mensch, der einem frechen, übermütigen und zuchtlosen Treiben sich hingab und die Leute nicht nur mit Schimpf und Schande von den öffentlichen Plätzen wegführte, sondern selbst in die Häuser S. 114 eindrang und ohne alle Rücksicht Männer und Frauen von Rang und Ansehen gewaltsam hinwegschleppte. Um mich jedoch bei der Schlechtigkeit dieses Menschen nicht allzulange aufzuhalten, will ich nur erzählen, was er gegen die besten Männer zu unternehmen gewagt hat. Das wird genügen, um daraus erschließen zu können, welche Gewalttätigkeiten er sich gegen seine Mitbürger erlaubt haben wird.
Derselbe begab sich zu einer öffentlichen Dirne und sagte ihr, soeben seien Fremde gekommen, welche sie für die Nacht begehrten. Sodann nahm er fünfzehn seiner Genossen und verbarg sie in den Gesträuchen am Fuße des Berges. Hierauf brachte er das schlechte Frauenzimmer herbei, gab den Genossen seiner Freveltat das früher vereinbarte Zeichen, und nachdem er sich so ihrer Anwesenheit versichert hatte, trat er an die Hoftüre des Hauses, wo jene Männer eingekehrt waren. Diese fand er geöffnet, er hatte nämlich einen der Dienstboten mit Geld bestochen, daß er sie öffne, führte das Weib hinein, zeigte ihm die Türe des Gemaches, wo der eine Bischof schlief, und forderte es auf, dort einzutreten. Er selbst ging wieder hinaus, um seine Gefährten zu rufen. Zufällig schlief Euphrates, so hieß nämlich der ältere der beiden Bischöfe, in dem vorderen Teil des Hauses, während Vincentius, so hieß der andere Bischof, im inneren Gemache ruhte. Als nun die schlechte Frauensperson innerhalb der Türe war, vernahm Euphrates den Tritt ihrer Füße; und da es finster war, fragte er, wer da gehe. Als hierauf jene anfing zu sprechen, geriet Euphrates in die größte Bestürzung; denn er meinte, es sei ein böser Geist, der die Stimme eines Weibes nachahme. Sofort rief er Christus den Erlöser um seine Hilfe an. Inzwischen war Onagros, so hieß nämlich der Anführer der schlechten Schar, weil er mit Händen und Füßen gegen die Rechtgläubigen ankämpfte1, mit seiner Bande ebenfalls eingedrungen; er schmähte mit lauter Stimme als Gesetzesverächter diejenigen, welche hoffen konnten, Richter von Gesetzesübertretungen zu sein. Es entstand ein großer Lärm, S. 115 die Diener liefen zusammen, es erhob sich auch Vincentius. Man schloß die Türe des Hofes; so gelang es, sieben von der Bande zu ergreifen, während Onagros mit den anderen entfliehen konnte; doch wurde mit den ersteren auch das Weib gefangen genommen. Gegen Morgen weckten die Bischöfe den mit ihnen gekommenen General und begaben sich (mit demselben) zum Palast des Kaisers. Dort führten sie laute Klage über die Verwegenheit des Stephanus und erklärten, sein Verbrechen bedürfe weder einer gerichtlichen Verhandlung noch einer Untersuchung. Ganz besonders aber klagte der General, der an den Kaiser die dringende Bitte richtete, dieses unsittliche Attentat nicht auf einer Synode, sondern durch das weltliche Gericht aburteilen zu lassen. Er erklärte sich bereit, die Kleriker seiner Bischöfe zuerst foltern zu lassen, nur müßten dann auch die Diener des Stephanus derselben Pein unterzogen werden. Dieser aber widersetzte sich dem mit aller Entschiedenheit und behauptete, Kleriker dürften nicht gegeißelt werden. Da beschlossen der Kaiser und die Behörden, die Untersuchung der Angelegenheit drinnen im kaiserlichen Palast vornehmen zu lassen. Zuerst fragte man nun das Weib, wer sie zur Herberge der Bischöfe geführt habe. Sie erzählte, daß ein gewisser junger Mann zu ihr gekommen sei und ihr die Ankunft und den Wunsch der Fremden bekannt gegeben habe, daß derselbe am Abend wieder gekommen sei und sie zur Herberge geleitet habe, daß er dann seine im Versteck liegende Rotte aufgesucht und gefunden, durch die Hoftüre eingeführt und aufgefordert habe, in den vorderen Teil des Hauses einzutreten. Außerdem berichtete sie noch über die Frage des Bischofs, seine Bestürzung und sein Gebet und über den Angriff der eingedrungenen Bande.
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Onagros = ὂνος ἂγριος [onos agrios] der wilde Esel. ↩