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Himmlische Hierarchie (Edith Stein)
§ 3.
Die Theologen erklären das deutlich, daß die niederen Ordnungen himmlischer Wesen von den höheren die Kenntnis der göttlichen Werke auf angemessene Weise empfangen. Die aber allen andern vorangehen, werden von der höchsten Gottheit selbst in heiliger Lehre erleuchtet. Manche, sagen sie, haben von höheren heilig gelernt, daß der Herr der himmlischen Kräfte und König der Herrlichkeit in Menschengestalt in den Himmel aufgenommen wurde. Manche aber fragten Jesus selbst und erlangten für uns die Kenntnis Seines göttlichen Wirkens; und Jesus selbst belehrte sie unmittelbar und offenbarte ihnen zuerst Seine höchste Güte gegen die Menschen. Ich, sagte Er, spreche Gerechtigkeit und Gericht zum Heil. Ich wundere mich aber, daß auch die ersten himmlischen Wesen, die alle andern übertreffen, nach göttlichen Erleuchtungen in ehrfürchtiger Schau verlangen. Sind sie es denn nicht, die fragen: Warum sind rot Deine Kleider? Aber vorher zögern sie bei sich selbst wie angedonnert und erklären zwar, daß sie nach der Kenntnis des göttlichen Wirkens verlangen, aber sie eilen nicht der ihnen gewährten göttlichen Erleuchtung voraus.
Die erste Hierarchie himmlischer Geister wird also vom Urquell aller Vollkommenheit geheiligt durch die heiligste Reinigung, die sie unmittelbar zu ihm emporrichtet, nach ihrer Fassungskraft mit reichlichem Licht vollkommenster Heiligung erfüllt und so gereinigt, erleuchtet und vollendet. In ihr ist nichts Niedriges, sie ist durch vollkommene Teilhabe voll des ersten Lichtes, ursprünglichen Erkennens und Wissens. Mit Recht darf ich wohl sagen, daß die Teilhabe am göttlichen Wissen Reinigung, Erleuchtung und Vollendung sei: Denn sie beseitigt die Unwissenheit durch Kenntnis vollkommener Geheimnisse, die jedem seiner Würdigkeit entsprechend gewährt wird. Durch eben die göttliche Erkenntnis, wodurch sie reinigt, erleuchtet sie auch, denn der Geist sieht, was er vorher nicht gesehen hat, durch erhabenere Erleuchtung; und wiederum vollendet sie durch dasselbe Licht, durch eine dauernde Kenntnis klarster Lehren.
Das also ist, so weit ich es verstehe, die erste Ordnung himmlischer Wesen, die in Gottes unmittelbarer Nähe ihren Platz hat, die einfach und unaufhörlich um Seine ewige Erkenntnis kreist, gemäß der höchsten (unter den Engeln möglichen), stets bewegten Seinsverfassung. Sie genießt häufig selige Beschauung, wird von einfachen, unmittelbaren Erleuchtungen erhellt und mit göttlicher Speise genährt; jener in ursprünglicher Ausgießung reichlich mitgeteilten, die jedoch einzig, unwandelbar und einfach ist wegen der Einheit der göttlichen Erquickung. Sie wird auch des häufigen Umgangs mit Gott und des Anteils an Seinen Werken gewürdigt, so daß sie, soweit möglich, Ihm an Fähigkeiten und Wirken ähnelt: Sie erkennt auch in überragender Weise viel göttliche Dinge und hat Anteil am göttlichen Wissen, so weit möglich.
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Himmlische Hierarchie (BKV)
§ 3.
1) Beweis aus der heiligen Schrift, daß die tieferstehenden Engel von den höhern über die Werke Gottes unterrichtet, diese letztern aber unmittelbar von Gott selbst aufgeklärt werden: An der einen Stelle der Schrift erscheinen Engel, welche über Christus von andern Engeln belehrt werden; ferner führt die Schrift eine Gruppe von Engeln ein, welche über Jesus im Ungewissen sind und direkt von ihm eine Antwort erhalten. 2) Wunderbar ist die Zurückhaltung, mit welcher selbst die höchsten Engel nach Aufschluß der göttlichen Geheimnisse verlangen. 3) So wird also die oberste Triade der Engel von Gott selbst gereinigt, erleuchtet und vollendet. 4) Es beruht sowohl die Reinigung wie die Erleuchtung und Vollendung auf der Mitteilung der göttlichen Erkenntnis, sofern diese die Unwissenheit vertreibt, positive Erleuchtung gewährt und im Genusse des Lichtes vollendet.
Die Tatsache, daß die tieferstehenden Ordnungen der himmlischen Wesen von den höheren in der Erkenntnis der Gottestaten unterwiesen, daß hingegen die allerobersten Stufen von der Urgottheit selbst, soweit es möglich ist, mit geheimnisvollen Lehren erleuchtet werden, sprechen die Verfasser der Offenbarungsschriften deutlich aus. Denn einige der Engel schildern sie, wie diese von den höheren heilig in jenes Geheimnis eingeweiht werden, daß derjenige, welcher in menschlicher Gestalt in den Himmel aufgenommen wurde, der Herr der himm- S. 40 lischen Mächte und der König der Glorie sei 1. Bei andern Engeln offenbaren sie deren Ungewißheit Jesu selbst gegenüber und wie sie die Kenntnis über sein für uns vollbrachtes Gotteswerk erlangen, wie Jesus selbst sie unmittelbar geheimnisvoll belehrt und ihnen in erster Mitteilung sein menschenfreundliches Heilswerk offenbart. „Ich, sagt er nämlich, lehre Gerechtigkeit und ein Gericht des Heils“ 2. Ich muß mich aber wundern, daß auch die ersten der himmlischen Wesen, welche die andern so weit überragen, die urgöttlichen Erleuchtungen nur mit Ehrfurcht ersehnen, wie sie ja nur mit den mittlern Flügeln fliegen 3. Denn nicht ohne weiteres fragen sie: „Warum sind deine Kleider rotgefärbt?“ Sie sind vielmehr erst bei sich selbst im Zweifel und geben zu verstehen, daß sie lernen wollen und nach der Erkenntnis des göttlichen Wirkens begehren, keineswegs aber der Erleuchtung vorauseilen, welche ihnen nach dem Gesetze des göttlichen Hervortretens beschieden ist.
Es wird also die erste Hierarchie der himmlischen Geister unmittelbar von dem Urprinzip aller Weihevollendung durch die direkte Erhebung zu demselben hierarchisch vervollkommnet, mit der allerheiligsten Reinheit des unermeßlichen Lichtes der übervollkommenen Weihewirkung im entsprechenden Verhältnis erfüllt und also gereinigt, erleuchtet und zur Vollendung geführt, durch kein Sinken nach unten getrübt, mit dem ursprünglich ersten Lichte erfüllt und durch Teilnahme an der erstverliehenen Erkenntnis und Wissenschaft vollendet. In Kürze dürfte ich wohl auch mit Recht dieses sagen, daß sowohl die Reinigung wie die Erleuchtung und Vollendung nichts anderes als die Mitteilung des urgöttlichen Wissens ist, welche (erstens) gewissermaßen von der Unwissenheit durch die nach Gebühr verliehene Kenntnis der vollkommenem Einweihungen reinigt, welche zweitens durch eben jene göttliche Erkenntnis dann erleuchtet, durch welche sie auch S. 41 die vorige Stufe des Wissens reinigt, in der man noch nicht alles das schaute, was jetzt durch die höhere Erleuchtung geoffenbart wird, (welche endlich drittens) durch eben das Licht, d. i. durch das zuständlich dauernde Wissen der lichtvollsten Einweihungen auch vollendet 4.
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Ps. 23, 10. ↩
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Is. 63, 1. ↩
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Vgl. unten e. h. Kap. IV, 38. ↩
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Diese Erklärung, dass die „Reinigung“ der Engel in der Entfernung der Unwissenheit besteht, also im Grunde auch Erleuchtung ist, wird von D. ausführlicher wiederholt e. h. VI, 3, 6 (s. d. Anm.). Der Gedanke, den Geist von Unwissenheit zu „reinigen“, ist neuplatonisch. Plotin. Enn. III, 6, 5. Proklus in Parmen. 559: καθαρτικοὶ τῆς ἀγνοίας τρόποι. ↩