1. Kap. Reue im gewöhnlichen Sinne bedeutet nur so viel als Änderung der Ansicht über eine frühere Handlung. Manchmal werden auch gute Handlungen bereut.
Die Klasse von Menschen, zu der wir selbst früher gehörten, die Blinden, die des Lichtes des Herrn Entbehrenden, kennen die Reue bloß vom Standpunkt S. 225der Natur als einen Leidenszustand der Seele, welcher aus der Mißbilligung einer frühern1 Meinung entspringt. Im übrigen aber sind sie von deren eigentlichem Verständnis so weit entfernt, wie von dem Urheber des Verstandes selbst. Denn der Verstand ist etwas Göttliches, weil Gott der Schöpfer aller Dinge ist, weil er alles und jegliches mit Verstand vorgesehen, eingerichtet und angeordnet hat und alles mit Verstand behandelt und angesehen wissen will. Alle, welche Gott nicht kennen, verstehen daher notwendig auch nicht, was Gottes ist, weil eine Schatzkammer Fremden in keinem Fall offen steht. So treiben sie ohne das Steuerruder der Vernunft in allen Verhältnissen und Vorkommnissen des Lebens umher und können den der Welt drohenden Sturm nicht vermeiden. Wie unvernünftig sie sich aber inbetreff der Reue verhallen, das kann man mit der einen Bemerkung genügend dartun, daß sie solche auch bei ihren guten Handlungen empfinden. Es reut sie ihr Glaube, ihre Liebe, ihre Einfalt, ihre Geduld, ihr Mitleid, je nachdem etwas davon auf undankbaren Boden gefallen ist. Sie verwünschen sich selber, weil sie Gutes getan haben. Gerade diese Art von Reue, die man den besten Handlungen anhängt, lassen sie in ihrem Herzen wurzeln und sorgen dafür, daß sie dessen eingedenk sind, nicht wieder etwas Gutes zu tun; der Reue über Böses dagegen liegen sie weniger ob. So geschieht es leichter, daß sie durch Reue sündigen, als daß sie dadurch recht täten.
Proris. Diese Korrektur des Beatus Rhenanus ist von fast allen Herausgebern gebilligt; Öhler hat die Lesart der Handschriften peioris aufgenommen. ↩
