15. Cap. Nach seinen Prinzipien müsste Marcion konsequent auch den Raum und die Materie für Götter erklären.
Wenn Du hintennach oder vorher behauptest, auch der andere Gott habe seine besondere Schöpfung, seine Welt und seinen Himmel, — wie es mit dem bekannten dritten Himmel steht, werden wir noch sehen, wenn wir zur Prüfung seines Apostels kommen — so hätte sie, welches auch ihr Wesen sein mag, mittlerweile doch jedenfalls mit ihrem Schöpfer zum Vorschein kommen müssen. — Aber was soll es heissen, ihr Herr ist bereits seit dem 12.1 Jahre des Tiberius geoffenbart, ein Eigentum von ihm aber,2 welches die armseligen Werke des Demiurgen weit übertreffen müsste und nicht hätte verborgen bleiben können, ist bis zum 15. Jahre des Kaisers Severus noch nicht zur Kenntnis gelangt, während sein Herr und Urheber nicht mehr unbekannt ist?! Wenn sich aber seine Schöpfung nicht in dieser Welt offenbaren kann, wie konnte dann deren Herr in dieser Welt zur Erscheinung kommen? Wenn diese Welt dem Herrn Aufnahme zu gewähren imstande war, warum nicht auch seinem Eigentum? Dieses ist doch nicht etwa grösser als er selbst?
Hier ist nun schon der Ort, über den Raum mit gleichzeitiger Beziehung auf jene vermeintliche höhere Welt wie auf deren Herrn eine Untersuchung anzustellen. Wenn auch er seine Welt unter sich und den Demiurgen über sich hat, so hat er sie offenbar in dem Raume erschaffen, der zwischen seinen Füssen und dem Kopfe des Demiurgen frei blieb. Folglich befindet sich Gott selbst an einem Orte und schuf seine Welt in einem Raume, und dieser Raum würde grösser sein wie Gott selbst und seine Welt. Denn das Einschliessende ist stets grösser als das von ihm Eingeschlossene. Auch muss man darauf sehen, dass nicht irgendwo noch Reste des Raumes übrig bleiben, wo sich etwa noch ein dritter Gott mit seiner Welt einnisten könnte.
Fange also jetzt an, auf die Anzahl der Götter Acht zu geben, denn auch der Raum wird bei Dir zu einem Gott, nicht nur, weil er grösser ist als Gott, sondern auch, weil er ungeworden, ungeschaffen, deswegen ewig und Gott gleich ist und Gott sich immer in ihm befunden hat. Ferner, wenn auch er sich aus irgend einer vorhandenen ungeschaffenen, ungewordenen und Gott gleichzeitigen Materie eine Welt erschaffen hat, wie S. 148 Marcion in betreff des Demiurgen der Ansicht ist, so ist das ein weiterer Beitrag zur Erhöhung der Majestät des Raumes, der dann zwei Götter umschliesst, den Gott und die Materie. Denn auch die Materie ist alsdann ein Gott, nach Analogie der Gottheit selbst, indem sie natürlicherweise ungeschaffen, ungeworden und ewig ist. Hat er aber die Welt aus nichts geschaffen, so wird Marcion sich genötigt sehen, in betreff des Demiurgen, dem er im Weltstoff eine Materie darbietet, dasselbe anzunehmen. Aber das wird nicht gehen, sondern er muss am Ende wohl auch aus vorhandener Materie geschaffen haben; denn es wird sich bei ihm, da er auch Gott ist, derselbe Grund geltend machen, der uns betreffs des Demiurgen, der gleichfalls Gott ist, entgegengehalten wird. So zählen wir denn vorläufig bei Marcion drei Götter, den Bildner, den Raum und die Materie.
Ebenso versetzt er den Demiurgen in einen Raum, der natürlich nach denselben Grundsätzen zu beurteilen ist, und unterstellt ihm, als ihrem Herrn, eine Materie, die natürlich auch ungeworden, ungeschaffen und darum ewig ist. Indem er dann weiter das Böse aus der Materie ableitet und das eine wie das andere ungeschaffen, ungeworden und ewig ist, so hat er damit einen vierten Gott statuiert. Man hat also in der höhern Region drei göttliche Wesen, in der niedern vier. Da nun auch noch die verschiedenen Christus hinzukommen, der eine, der unter Tiberius erschien, sowie der zweite, der vom Demiurgen verheissen wird, so wird Marcion offenbar von denen, die meinen, er führe nur zwei Götter ein, benachteiligt, da er deren neun beibringt, freilich ohne es zu wissen.