1. Cap. Tertullians frühere schriftstellerische Thätigkeit gegen Marcion. Dessen Heimat und Person. Sein System im allgemeinen.
S. 130 Wenn wir früher etwas gegen Marcion unternommen haben, so kümmert uns das jetzt weiter nicht mehr. Wir fangen nun auf Grund des alten ein neues Unternehmen an. Mein erstes Schriftchen hatte ich als übereilt später durch eine vollständigere Bearbeitung ersetzt. Bevor letztere noch durch Abschriften vervielfältigt war, ging auch sie mir, durch den Diebstahl eines Mitbruders, der nachher Apostat wurde, verloren; derselbe hatte einiges nur höchst fehlerhaft abgeschrieben und brachte es so in die Öffentlichkeit. Es ergab sich die Notwendigkeit einer verbesserten Bearbeitung, und die dargebotene Gelegenheit zur Umarbeitung liess Zusätze rätlich erscheinen. So befindet sich denn meine Feder jetzt in der Lage, beim zweiten Ausgehen ihres Büchleins zum dritten Male und beim dritten hier nun eigentlich zum ersten Male die Vorrede schreiben zu müssen, damit niemand, wenn er hin und wieder Abweichungen daran entdeckt, stutzig wird.
Der sogenannte Pontus Euxinus, das gastliche Meer, ist eine Negation seiner Natur und ein Hohn auf seinen Namen. Schon infolge seiner Lage wird niemand den Pontus für gastlich halten, er ist zu weit von unsern milden menschlicheren Gestaden entfernt, fast aus einem gewissen Schamgefühl über seine Barbarei. Ganz wilde Völkerschaften umwohnen ihn; wofern man auf einem Wagen hausen überhaupt wohnen nennen kann. Ihre Wohnsitze sind nicht ständig, ihre Lebensweise roh, die Befriedigung des Geschlechtstriebes ohne Schranken und geschieht meistens ohne alle Scham. Auch wenn sie sich dabei der Öffentlichkeit entziehen, hängen sie zum Anzeichen an einem Joche ihre Köcher auf, damit sich nicht unversehens jemand nähere. Die Leichname ihrer Eltern fressen sie mit Tierfleisch zusammengehackt bei ihren Gastmählern. Ist jemand einer Todesart erlegen, die ihn ungeniessbar macht, so gilt dies als ein Fluch. Selbst die Weiber sind nicht etwa entsprechend der Eigenart ihres Geschlechts milder und gesitteter; Kinder stillen ist ihre Sache nicht, statt Wolle zu spinnen, hantieren sie mit Äxten, sie wollen lieber Kriegsdienste thun als heiraten. Der Himmelsstrich ist rauh, das Tageslicht ist niemals vollkräftig, die Sonne niemals ganz frei, die ganze Atmosphäre ein Nebel, das ganze Jahr Winter, alle Winde, die wehen, kommen von Norden. Die Getränke müssen durch Feuer erst wieder flüssig gemacht werden, die Ströme sind durch eine Eisdecke gefesselt und auf den Gebirgen lagern mächtige Schneemassen. Alles ist träge, alles starr; nichts ist dort feurig als die Wildheit, jene Wildheit nämlich, welche die Opfer der Taurier, die Liebeshändel der Kolchier und die Kreuze der Kaukasier als Bühnenstoffe geliefert hat.
Allein nichts ist so befremdlich für uns und so traurig für Pontus, als dass dort Marcion geboren wurde, der abschreckender ist als ein Scythe, S. 131 unstäter als ein Hamaxobier, unmenschlicher als ein Massagete, verwegener als eine Amazone, dunkler als der Nebel, kälter als der Winter, spröder als das Eis, trügerischer als die Donau, gefahrvoller als der Kaukasus. Oder etwa nicht? Bei ihm wird ja der allmächtige Gott wie ein wahrer Prometheus zerfleischt. Marcion ist sogar reissender als die wilden Tiere jenes Barbarenlandes. Denn wäre wohl ein Biber1 in dem Grade darauf versessen, das Fleisch zu kastriren, als er, der das Heiraten abgeschafft hat? Die pontischen Ratten sind nicht so gefrässig, wie er, der die Evangelien angenagt hat! Fürwahr, o Pontus, das Tier, das du hervorgebracht hast, ist für den Philosophen noch erträglicher als für den Christen. Diogenes, der bekannte Kläffer, wünschte einen Menschen zu finden, als er mit der Laterne am Mittage umherging? Marcion dagegen hat seinen Gott, den er gefunden hatte, verloren und sein Glaubenslicht ausgelöscht. Seine Schüler werden wohl nicht leugnen, dass sein anfänglicher erster Glaube mit dem unsrigen übereinstimmte, wie seine eigenen Briefe bezeugen, und man kann ihn auf Grund dessen allein, dass er das Frühere im Stich gelassen und sich angeeignet hat, was vorher nicht war, schon für einen Häretiker erklären. Denn alles nachträglich Eingeführte wird ebenso sicher für Häresie angesehen werden müssen, als das Frühere und von Anfang an Überlieferte für Wahrheit gehalten wird. Allein ein anderes Schriftchen von uns2 dürfte wohl gegen die Häretiker diese Position behaupten, dass man sie sogar schon ohne Prüfung der Lehren zurückweisen müsse, weil sie das sind, auf Grund der Prozesseinrede der Neuheit. Diesmal aber will ich, insoweit ein Kampf statthaft ist, um nicht, wenn das abgekürzte Verfahren mit den Prozesseinreden bei jeder Gelegenheit angerufen wird, dadurch Misstrauen zu erregen, erst die Glaubensregel des Gegners voranschicken, damit für jedermann ersichtlich sei, um was die Hauptfrage sich dreht.