21. Cap. Die Natur der Sache und die Tradition verbieten eine derartige Gegenüberstellung.
Wünschte Paulus aber das Gesetz des alten Gottes etwa deshalb abgethan zu sehen, weil er als Verkündiger eines neuen Gottes auftrat, so frage ich, warum gibt er denn gar keine Vorschriften in betreff dieses neuen Gottes, sondern nur immer über das alte Gesetz. Doch wohl nur aus dem Grunde, weil der Glaube an den alten Gott bleiben und allein das Gesetz desselben weichen sollte. Gerade so hatte auch schon früher der Psalmist gesungen: „Lasst uns ihr Joch brechen und ihre Fesseln von uns werfen“, nämlich von der Zeit, an, „als die Heiden tobten, die Völker und Stämme Eitles sannen, als da zusammentraten die Könige der Erde und die Fürsten sich versammelten gegen den Herrn und seinen Gesalbten.“1 Und fürwahr, wenn ein anderer Gott von Paulus gepredigt worden wäre, so könnte hinsichtlich der Beibehaltung seines Gesetzes gar kein Streit mehr sein, indem der neue Herr und Gegner des Gesetzes gar nichts damit zu schaffen haben würde. Die Neuheit und Verschiedenheit des Gottes selbst würde nicht bloss die Fragen über altes und neumodisches Gesetz, sondern jeden Gedanken daran beseitigt haben. Aber der Kern der ganzen Frage war der, ob, da in Christo derselbe Gott mit dem des Gesetzes gepredigt wurde, des letzteren Gesetz damit abgeändert ist? Der Glaube hinsichtlich des Schöpfers und seines Christus war also stabil, aber hinsichtlich der Lebensweise und Disziplin schwankte man. Denn die einen stritten über den Genuss des Götzenopferfleisches, andere über die Schleier der Weiber, andere über die Ehe und die Scheidebriefe, einige auch über die zu hoffende Auferstehung; — über Gott stritt niemand. Wäre diese Streitfrage auch erörtert worden, so würde sie sich sicher beim Apostel erwähnt finden, um so mehr, je wichtiger sie ist. Hat aber die christliche Wahrheit in dem Glaubensartikel in betreff Gottes erst nach den Zeiten der Apostel eine Fälschung S. 155 erlitten, dann hat bei deren Lebzeiten die apostolische Tradition in dem genannten Glaubensartikel folglich keine erlitten und dürfte daher noch für identisch gehalten werden mit der, welche heute noch in ihren Kirchen vorgetragen wird.2 Man wird aber wohl keine Kirchen von apostolischem Ursprung finden, welche in betreff des Schöpfergottes nicht christlich lehrten. Oder wenn selbst sie von Anbeginn an korrumpiert worden sein sollten, welche wären dann wohl unverdorben geblieben? Natürlich nur die dem Schöpfergott feindseligen. Nenne uns also von deinen Kirchen irgend eine, die apostolischen Ursprungs ist, und du sollst Recht haben. Da es nun allseitig feststeht, dass in dem diese Heilslehre betreffenden Glaubensartikel von Christus an bis auf Marcion von keinem andern Gott neben dem Schöpfer etwas vorkommt, so ist auch unser Beweis dafür hinlänglich gesichert, die erste Kunde von dem häretischen Gott datiere von der Trennung von Gesetz und Evangelium. Damit ist die oben gegebene Entscheidung vollständig erhärtet, dass man keinen Gott annehmen dürfe, den ein Mensch sich nach seinem Sinne zurecht gemacht hat, ausser er sei denn offenbar ein Prophet, und dann ist es eben nicht sein Sinn. Wenn Marcion dafür gelten soll, so muss man es beweisen. Man hätte sich da nicht weiter auf Verhandlungen brauchen einzulassen. Denn diese Wahrheit ist der Keil, durch welchen jede Häresie hinausgetrieben wird, indem Christus sich nur als Herold des Schöpfergottes und keines andern Gottes erweist.