22. Cap. Eine Güte Gottes, die sich nicht offenbart, kann vom Menschen auch nicht erkannt 'werden, existiert also für ihn nicht.
Allein der Antichrist wird nicht gründlich überwunden, wenn man sich nicht auch zur Niederschmetterung seiner sonstigen Einwürfe die Zeit nimmt und die Verteidigungsmethode mit Hilfe der Präscriptionen lieber bei Seite lässt.1 Beschäftigen wir uns also nun mit Frage nach der Person Gottes selbst oder vielmehr nach Analogie seines Christus mit dessen Schatten und Phantasieen, und er möge auf das hin geprüft werden, worin er den Demiurgen übertreffen soll.2 Da wird es natürlich gewisse Regeln geben, um die Güte des Schöpfers zu prüfen. Das erste aber muss sein, dass man die letztere findet und festhält, dann erst wird man sie auf Regeln zurückführen können. Wenn ich nämlich auf das Zeitverhältnis Rücksicht nehme, so ist sie beim Anbeginn der Dinge und bei Entstehung der wirkenden Ursachen, in deren Gesellschaft man sie hätte finden sollen, nirgends vorhanden, sondern thut erst nachher, was sie zu thun hat. Denn der Tod war bereits da, so wie auch der Stachel des Todes, die Sünde, und namentlich auch der böse Demiurg, wogegen S. 156 die Güte des andern Gottes hätte Hilfe leisten sollen. Dann hätte sie dem ersten Grundgesetz der göttlichen Güte entsprochen, wenn sie sich als eine natürliche Eigenschaft erwiesen und sofort Hilfe geleistet hätte, als die Gelegenheit da war. Denn alle Eigenschaften Gottes müssen natürliche und angeborene sein, um seiner Wesenheit entsprechend ewige sein zu können, sonst werden sie für zufällig und äusserlich gehalten werden, und eben darum für bloss zeitlich und ohne ewige Dauer. So ist bei Gott auch eine dauernde und fortwährende Güte erforderlich, welche, in den Schätzen seiner natürlichen Eigenschaften ruhend und bereit stehend den etwaigen Veranlassungen und Gelegenheiten vorangeht und jede sofort aufgreift, nicht aber dieselben übersieht oder im Stich lässt, wofern sie selber überhaupt nur die Priorität des Seins hat.
So werde ich denn hier die Frage, warum seine Güte sich nicht von Anfang an bethätigte, ebenso aufwerfen, als ich vorhin die Frage gestellt habe, warum er sich nicht gleich zu Anbeginn geoffenbart hat. Warum denn auch nicht? Er hätte sich durch seine Güte offenbaren müssen, wenn er existierte. Etwas nicht können, steht Gott nicht an, noch weniger, von seinen natürlichen Eigenschaften keinen Gebrauch zu machen. Wenn dieselben sich in ihrem freien Laufe hemmen lassen, dann sind sie nicht seine natürlichen Eigenschaften. Nichtbethätigung ihrer selbst ist der Natureigenschaft unbekannt. Sie wird nur dann gelten, wenn sie handelt; daher kann es auch nicht den Anschein gewinnen, er habe seine Güte jetzt nicht ausüben wollen, eben auf Grund ihrer Natur; denn die Natur kann nicht sich nicht wollen. Es verhält sich mit ihr so, dass sie, wenn sie ruht, auch nicht mehr ist. Bei dem Gott des Marcion aber ruhte die Güte eine zeitlang unthätig. Mithin war seine Güte keine wesentliche Eigenschaft, da sie eine zeitlang aufzuhören imstande war, was bei Natureigenschaften nicht angeht. Und wenn sie keine solche ist, so kann man sie auch nicht mehr für ewig und nicht mehr für Gott gleich halten, weil sie nicht ewig ist, indem sie ihm nicht natürlich ist; letzteres aber ist sie nicht, da sie Bestand weder in der Vergangenheit gezeigt hat, noch für die Zukunft verspricht. Im Anbeginn war sie nicht und zuletzt wird sie ohne Zweifel nicht sein. Denn sie kann gerade so gut einmal nicht sein, als sie einmal nicht gewesen ist.3
Da es also feststeht, dass die Güte jenes Gottes zu Anfang fehlte, — denn er erlöste ja zu Anfang den Menschen nicht, — und da sie ihm mehr infolge seines eigenen Willens als aus Schwäche gemangelt haben S. 157 muss, so erweist sich dieser Wille, das Gute unterdrückt zu haben, als der Gipfel der Bosheit. Denn was könnte boshafter sein, als nicht helfen wollen, wenn man kann, das Gute auf die Folter spannen und das Unrecht geschehen lassen? So wird denn also das ganze Sündenregister des Demiurgen auf Rechnung dessen kommen, der die Schlechtigkeiten desselben durch Zurückhaltung seiner Güte förderte. Denn in wessen Hand die Verhinderung einer Handlung steht, dem wird sie beigemessen, wenn sie doch geschieht.4 Der Mensch wird zum Tode verurteilt, weil er an einem einzigen Baume genascht hatte, daraus entkeimen Sünden mit ihren Strafen und es kommen alle um, welche noch nicht einmal einen Grashalm des Paradieses gesehen haben. Und dabei gibt es einen bessern Gott! der es nicht weiss oder doch geschehen lässt? Thut er es, um dann als desto besser zu erscheinen, für je schlechter der Demiurg gehalten wird, so steckt auch in diesem Plane Bosheit genug, da er jenen auch noch zu belasten wünschte durch Zulassung seiner Thaten und die Welt in Qualen festhielt.
Was würde man von einem Arzte halten, der die Krankheit durch Verzögerung der Hilfe verschlimmert und die Gefahr durch Vorenthaltung der Heilmittel verzögert, um dann eine desto kostspieligere und rühmlichere Kur zu machen?! Dasselbe Urteil müsste man auch über den Gott Marcions fällen, der das Böse zulässt, das Unrecht begünstigt, mit der Gnade spielt und sich gegen die Milde verfehlt, indem er sie nicht gleich an richtiger Stelle anwendete. Er würde sie zur Anwendung gebracht haben, wenn seine Natur gut gewesen und es nicht erst nach und nach geworden wäre, wenn er seiner Anlage nach und nicht durch eine Disciplin der beste, wenn er von Ewigkeit her Gott gewesen und nicht erst von der Zeit des Tiberius an es geworden wäre; oder richtiger, um die Wahrheit zu sagen, von der Zeit des Cerdo und Marcion an. Mag indes jene Sorte von Gottheit dem Tiberius die Gunst erwiesen haben, dass mit seiner Regierung die göttliche Güte auf Erden ihren Anfang nahm!5
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Weil durch die Präscriptionsmethode die ganze Frage auf einmal abgeschnitten wird, ohne dass man sich auf das Detail einlässt. ↩
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D. i. in Bezug auf seine Güte. ↩
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Tertullian braucht natura hier im Sinne von Wesenheit und nähert sich in diesem Abschnitt dem Grundgedanken des späteren sogenannten ontologischen Gottesbeweises. Vgl. auch oben Cap. 9. ↩
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In dieser Allgemeinheit dürfte der Satz falsch sein. ↩
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Ist natürlich ironisch. ↩