23. Cap. Wenn der bloss gute Gott die Menschen erlösen will, so greift er in eine fremde Sphäre über, da nach Marcions System die Menschen vom Demiurgen erschaffen sind.
Als weiteres Grundprinzip halte ich ihm den Satz entgegen, in Gott muss alles, wie wesenhaft, so auch vernünftig sein. Ich fordere also einen vernünftigen Grund für seine Güte; denn man darf auch sonst nichts für gut halten, was nicht in vernünftiger Weise gut ist, in keinem Falle aber dürfte die Güte als unvernünftig dastehen. Eher könnte etwas Böses, das irgend einen guten Grund für sich hat, für gut gelten, S. 158 als das Gute, wenn es der Vernunft entbehrt, für nicht schlecht gehalten werden.
Ich behaupte nun, dass die Güte des Gottes Marcions erstens schon darum eine unvernünftige war, weil sie um des Heiles der Menschheit willen, die nicht ihm gehörte, hervortrat. Ich bin darauf gefasst, dass sie sagen werden, das sei ja eben die vorzüglichste und vollkommene Güte, welche sich ohne alle nähern Verpflichtungen freiwillig und von selbst auf Fremde erstreckt, entsprechend dem Gebet, auch die Feinde und daraufhin auch schon die Fremden zu lieben. Wenn sie sich also anfangs um den Menschen, der ihr von Anfang an fremd war, nicht bekümmerte, so hat sie durch diese ihre Unthätigkeit das Präjudiz aufgestellt, dass sie mit einem Fremden nichts zu schaffen habe. Der Vorschrift, die Fremden und Feinde zu lieben, ging übrigens die andere Vorschrift, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben, vorher. Stammt sie gleich aus dem Gesetze des Schöpfergottes, so wirst doch auch du sie annehmen müssen, weil sie von Christus nicht aufgehoben, sondern vielmehr ausgebildet worden ist. Damit du nämlich deinen Nächsten um so mehr liebest, so erhältst du den Befehl, auch den Feind und Fremden zu lieben. Die Forderung einer Güte, zu der man nicht verpflichtet ist, kommt einer Steigerung derjenigen gleich, zu welcher man verpflichtet ist. Es geht aber die pflichtmässige der nicht pflichtmässigen voraus, als die vorzüglichere, die würdiger ist, als ihre Dienerin und Begleiterin, d. h. die nicht pflichtmässige Güte. Sie ist also die frühere, da das erste vernünftige Erfordernis an die Güte das ist, sich gegen die Angehörigen zu bethätigen, aus Liebe zur Gerechtigkeit. Sich gegen Fremde bethätigen, und zwar aus überfliessender Gerechtigkeit, welche die der Pharisäer und Schriftgelehrten übertrifft, ist aber erst das zweite. Was soll es nun heissen, bei ihr das zweite Erfordernis geltend zu machen, da sie das erste nicht erfüllt hat, keine ihr gehörende Menschheit besitzt und eben darum auch nicht bedeutend sein kann? Weiter, wenn sie unbedeutend und nicht im Besitz eines eigenen Objektes ist, wie kann sie sich auf Fremde erstrecken. Zeige uns erst das Haupterfordernis und dann sprich für das darauf folgende. Nichts Ungeordnetes kann für vernünftig ausgegeben werden, und ebenso viel fehlt daran, dass die Vernunft selbst in irgend einem Stück die Ordnung aus den Augen verlieren könnte.
Angenommen nun, es sei in der Ordnung, dass die Güte mit der zweiten Stufe beginne, nämlich an einem fremden Objekte, so würde auch diese zweite Stufe nicht vor der Vernunft bestehen können, da sie auf andere Weise zu Grunde geht. Denn auch diese Güte zweiten Ranges gegen einen Fremden wird nur dann für vernünftig gelten können, wenn sie ohne Beeinträchtigung dessen sich bethätigt, dem sie gebührt. Jede Art Güte erhält ihre vernünftige Berechtigung erst durch die Gerechtigkeit. S. 159 Daher wird sie in erster Linie auch nur dann vernünftig sein, wenn sie sich gegen ein ihr zugehöriges Objekt bethätigt, wenn sie gerecht ist; gegen ein fremdes Objekt bethätigt, wird sie nur dann vernunftgemäss sein, wenn sie nicht ungerecht ist. Was soll das aber für eine Güte sein, die auf Unrecht basiert, und zwar noch dazu zu gunsten eines Fremden?! Denn eine Güte, die der Gerechtigkeit entbehrt, könnte höchstens dann noch für vernünftig gelten, wenn sie zu gunsten eines Angehörigen geübt wird. Wird sie aber einem Fremden erwiesen, dem sie nicht einmal, wenn wohl begründet, rechtmässiger Weise zukommt, wie könnte sie da noch als vernünftig hingestellt werden, da sie mit so grosser Ungerechtigkeit verbunden ist? Denn was ist ungerechter, unbilliger und verwerflicher, als dem Knechte eines andern Wohlthaten zu erweisen, um ihn seinem Herrn zu entfremden, um ihn einem andern zuzuführen, um ihn gegen das Leben seines Herrn mit Waffen auszurüsten, und zwar, was noch schmählicher ist, im Hause des Herrn selbst, während er noch von seinem Tische isst und vor seinen Schlägen zittert? Ein solcher Befreier würde sogar von der Welt verurteilt werden, vollends, da er mehr ein Verführer ist.
Nicht anders macht es der Gott Marcions, er bricht in eine fremde Welt ein, entreisst den Menschen Gott, den Sohn dem Vater, den Zögling dem Erzieher, den Knecht dem Herrn, um ihn zur Gottlosigkeit gegen seinen Gott, zur Unehrerbietigkeit gegen seinen Vater, zur Undankbarkeit gegen seinen Erzieher, zur Unbotmässigkeit gegen seinen Herrn zu verleiten. Ich bitte Dich, seine vernunftgemässe Güte macht ihn ja genau dazu, wozu ihn auch die unvernünftige machen würde! Ich glaube, es kann keinen Unverschämteren geben als denjenigen, welcher sich in dem Wasser des einen für den andern Gott taufen lässt, der gegen den Himmel des einen zu dem andern Gott seine Hände ausstreckt, der sich auf der Erde des einen, aber vor dem andern Gott niederwirft, der über das Brot, das dem einen gehört, zu dem andern Gott seine Danksagungen verrichtet, der mit fremden Gütern um eines andern Gottes willen Almosen und Liebeswerke verrichtet. Wer ist jener Gott, der so gut ist, dass der Mensch durch ihn schlecht wird, der ihm so gewogen ist, dass er den andern Gott, der noch dazu des Menschen Herr ist, gegen denselben in Zorn bringt?