26. Cap. Ein solcher Gott der reinen Güte müsste schliesslich gegen die Sünde und Beleidigung seiner selbst gleichgültig sein, was unmöglich ist.
An dieser Stelle hingegen genügt es, durch das Betonen selbst der alleinigen blossen Güte darzuthun, dass ihr Gott ein ganz verkehrter sei, da man ihm die Geistesregungen, die man am Demiurgen tadelt, nicht beilegen will. Denn wenn er weder Abneigung noch Zorn hat, weder verurteilt noch heimsucht, dieweil er ja auch nicht den Richter macht, so sehe ich nicht ein, wie es bei ihm eine Sittenzucht geben kann, und zwar vorgeblich eine vollkommenere. Denn was soll es heissen, dass er Vorschriften gibt und sie nicht durchführt, sündhafte Handlungen verbietet und sie nicht bestraft? Weil ihm alle Gefühle von Strenge und Ahnden fremd sind, so richtet er auch nicht. Warum verbietet er Handlungen, die er, wenn sie begangen sind, nicht ahndet? Es wäre doch viel richtiger, gar nicht zu verbieten, was zu ahnden er nicht gesonnen ist, als nicht zu ahnden, was er verboten hat. Ja noch mehr, er hätte geradezu die Erlaubnis dazu geben müssen, da sein Verbot, weil er ihm nicht Nachdruck geben will, zwecklos ist. Denn auch jetzt gilt, was ohne Androhung von Strafe verboten wird, eigentlich doch stillschweigend als erlaubt. In jedem Falle verbietet er nur solche Handlungen, welche er nicht gern geschehen sieht. Mithin ist er, wenn er durch Vollbringung dessen, was er nicht gern sieht, sich nicht beleidigt fühlt, ganz stumpfsinnig, da doch das Gefühl der Beleidigung die Folge ist von vereiteltem Willen. Fühlt er sich aber beleidigt, so muss er zürnen; wenn er zürnt, so muss er ahnden; denn auch die Rache ist ein Produkt des Zornes, der Zorn das notwendige Ergebnis der Beleidigung und das Gefühl der Beleidigung, wie gesagt, Folge vereitelten Wollens. Nun ahndet er aber nicht, folglich fühlt er auch keine Beleidigung. Fühlt er aber keine Beleidigung, so wird auch sein Wille nicht verletzt, wenn gleich geschieht, was er nicht will. Dann S. 164 ist aber die Sünde seinem Willen gemäs; denn das, was den Willen nicht verletzt, ist auch nicht gegen den Willen.
Oder aber, wenn die göttliche Tugend und Güte darin bestehen soll, einerseits nicht zu wollen, dass etwas geschehe, und es zu verbieten, andererseits sich aber nichts daraus zu machen, wenn es doch geschieht, so erwidern wir: wer etwas nicht will, der ist schon in Gemütsbewegung geraten, und es würde thöricht sein, beim Eintritt einer That nicht in Bewegung zu geraten, wenn man sich in Bewegung gesetzt hat, damit sie nicht geschähe, weil man es wollte, dass sie nicht geschehe. Im Nichtwollen der That lag ein Verbot derselben. Hat Gott denn nicht durch das Nichtwollen der That und das daraus hervorgehende Verbot ein Urteil über sie abgegeben? Das Urteil lautete: „man dürfe es nicht thun“, und der Ausspruch: „es sei zu verbieten“. Mithin übte er schon ein Richteramt aus. Wenn es Gottes unwürdig ist, das Richteramt zu üben, oder wenn es nur insoweit seiner würdig ist, dass er nicht will und verbietet, so durfte er auch die begangene That nicht strafen. Nun ist aber nichts Gottes so unwürdig, als, so hingehen zu lassen, was er nicht gewollt hat und was er verboten hat, zu gestatten. Denn erstens ist er für jedes seiner Urteile und Gesetze eine Ahndung schuldig um der Autorität und des notwendigen Gehorsams willen, zweitens ist ihm das, was er nicht erlauben wollte und durch sein Nichtwollen verboten hat, notwendig entgegen. Des Bösen zu schonen aber ist Gottes unwürdiger als das Strafen selbst, und zwar eben des guten Gottes unwürdig, weil er nur dann vollkommen gut sein wird, wenn er dem Bösen abhold ist, so dass er seine Liebe des Guten durch Hass gegen das Böse bethätigt und durch Bekämpfung des Bösen dem Guten vollkommenen Schutz verschafft.