29. Cap. Mit Unrecht verbietet Marcion die Ehe als etwas Unreines.
Der Gott Marcions lässt keinen Leib taufen, es sei denn den einer Jungfrau, Witwe, Ehelosen oder einer, die sich durch Trennung der Ehe das Anrecht auf die Taufe erworben hat, gerade als wenn nicht auch der Leib der Verschnittenen durch die Ehe sein Dasein erhielte. Ohne Zweifel ist diese Einrichtung der Ausfluss seiner Verwerfung der Ehe. Untersuchen wir, ob sie gerecht sei, nicht als wollten wir die Seligkeit und das Glück der Heiligkeit1 verkümmern, wie gewisse Nikolaiten, welche Wollust und Ausgelassenheit predigen, sondern weil wir uns auf Heiligkeit verstehen, ohne das Heiraten zu verdammen, ihr nachstreben und ihr den Vorzug geben, nicht wie man einer guten Sache vor einer bösen, sondern wie man einer bessern vor der guten den Vorzug gibt. Denn wir verwerfen die Ehe nicht, sondern wir enthalten uns derselben nur; wir schreiben die Heiligkeit nicht vor, sondern raten sie nur an; wir werden dem Guten sowohl als dem Bessern gerecht, indem wir jedem jeder nach seinen Kräften nachstrebt. Wir verteidigen die Ehe gerade dann am angelegentlichsten, wenn sie in feindseliger Weise, als unrein, angegriffen wird, um damit den Schöpfergott herabzuwürdigen, welcher der Ehrbarkeit der Sache entsprechend dem ehelichen Bunde seinen Segen gegeben hat zur Mehrung des menschlichen Geschlechts, so gut wie er ihn der gesamten Schöpfung gab, zu guter und unsträflicher Benutzung. Die Speisen werden ebensowenig dadurch verdammlich, dass sie, mit zuviel Sorgfalt ausgesucht, zur Leckerei führen. So wenig die Kleidung deshalb ein Vorwurf trifft, weil sie, zu kostbar hergestellt, zu Prunk und Aufgeblasenheit führt, ebensowenig wird das eheliche Leben deshalb verabscheuungswert, weil es bei masslosem und erschlafftem Zustande zur Wollust entflammt.
Es ist ein grosser Unterschied zwischen der Sache selbst und deren Verderbnis, ihrem Wesen und der Ausartung. In derartigen Fällen wäre daher nicht die Einrichtung selbst, sondern die Ausschreitung zu verwerfen, gemäss dem sittlichen Urteil des Urhebers der Einrichtung selbst, von dem sowohl das: „Wachset und mehret euch“ herrührt, als auch S. 168 die Gebote: „Du sollst nicht ehebrechen“ und „du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“, und der auf jede blutschänderische, sakrilegische Lust so wie auch auf die ungeheuerliche und wahnsinnige Unzucht mit Männern und mit Vieh die Todesstrafe setzte.
Auch dann, wenn dem Heiraten eine Grenze gesteckt wird, wie es bei uns2 aus geistigem Grunde auf Antrieb des Paraklet mit besonderem Nachdruck geschieht, indem nach Annahme des Christentums nur eine einmalige Ehe gestattet wird, so ist es eben derselbe, der das Ziel setzt, nachdem er es einstens etwas weiter gerückt hatte. Der sammelt, welcher zerstreut hat, der schlägt den Wald, welcher ihn gepflanzt hat, der erntet die Saat, der sie gesäet hat, es erübrigt noch, dass die, welche Eheweiber haben, „seien, als hätten sie deren nicht“; er ist derselbe, der ehedem gesagt hatte: „Wachset und mehret euch“. Der macht den Schluss, der auch den Anfang gemacht hat. Wenn der Wald abgeholzt wird, so ist das keine Anklage gegen ihn, und wenn die Saaten gemäht werden, so ist das keine Verdammung für sie, sondern es geschieht mit ihnen, was an der Zeit ist. So lassen auch die ehelichen Verhältnisse die Axt, die Sichel, das Messer der Heiligkeit an sich legen, nicht als wären sie schlecht, sondern weil sie für den Hingang reif und der Heiligung vorbehalten sind, der sie Platz machen3 und so das Dasein geben sollen.
Daher möchte ich auch jetzt behaupten, wenn der Gott Marcions die Ehe als etwas Schlechtes und Abnormes verwirft, so handelt er gegen das Interesse der Heiligkeit selbst, obwohl er dafür zu handeln scheint. Er nimmt ihr das Objekt; denn wenn es keine Ehe gäbe, so gäbe es auch keine Heiligkeit mehr. Es fehlt dann nämlich das Zeugnis für die Enthaltsamkeit, wenn die Erlaubnis zum Heiraten entzogen wird. Denn manche Dinge finden nur auf diese Weise ihren Beleg in ihrem Gegenteil. Wie die Tugend in der Schwachheit zur Vollendung gelangt, so springt die Enthaltsamkeit erst bei Erlaubtheit des Heiratens in die Augen. Wer wird denn zuletzt noch enthaltsam genannt werden können, wenn es kein Objekt mehr gibt, dessen man sich enthalten kann? Oder gibt es etwa eine Bändigung der Esslust bei Hungersnot, eine Verschmähung des Prunkes bei Bettlerarmut und eine Zügelung der sinnlichen Begierde im Zustande der Entmannung?
Endlich weiss ich auch nicht, ob es sich für den höchst guten Gott schickt, die Pflanzstätte zur Erhaltung des Menschengeschlechtes gänzlich zu beseitigen. Denn wie kann er den Menschen erlösen, wenn er ihm S. 169 nicht erlaubt, geboren zu werden, und die Möglichkeit des Geborenwerdens beseitigt? Wie wird er einen Gegenstand finden, woran er seine Güte zeigt, da er ihm das Dasein nicht gönnt? Wie kann er den lieben, dessen Ursprung er nicht liebt? Vielleicht fürchtet er allzu reichlichen Nachwuchs und die Mühe, noch mehrere erlösen zu müssen, oder er fürchtet, zu viele Häretiker hervorzubringen, oder dass ihm aus den Marcioniten noch bessere Marcioniten entständen?
Die Grausamkeit Pharaos, der die Neugeborenen umbrachte, kann nicht grösser sein. Denn dieser nimmt das Leben, jener gibt es gar nicht; dieser reisst aus dem Leben heraus, jener lässt gar nicht in das Leben hinein. Das Verfahren beider unterscheidet sich nicht vom Mord; beide lassen den Menschen nicht leben, der eine den bereits geborenen, der andere den noch zu gebärenden. Es wäre dankenswert von dir gewesen, o Gott der Häretiker, wenn du gegen die Veranstaltung des Demiurgen, wonach Mann und Weib sich verbinden, angegangen wärest; denn dein Marcion ist ja auch aus einer ehelichen Verbindung geboren.
Dies genügt in betreff der Gotteslehre des Marcion. Sowohl die Feststellungen über die Einzigkeit Gottes als auch die Beschaffenheit seines Verhaltens bestätigen es durchaus, dass ein solcher Gott nicht existiert. Jedoch der Zusammenhang des gesamten Werkes läuft ja darauf eben hinaus. Wem es daher scheinen sollte, wir hätten noch nicht ausführlich genug darüber gehandelt, der möge sich mit der Erwartung beruhigen, dass die Sache für die betreffende Zeit zurückgelegt sei, ebenso wie die Prüfung der Schriften selbst, deren sich Marcion bedient.
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Sanctitas, hier im Sinne von jungfräulicher Ehelosigkeit. ↩
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Bei den Montanisten ↩
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Cui caedendo (besser vielleicht cedendo) praestaret esse haben die Handschriften und Ausgaben. Die Emendation von Öhler: Cui caedendo praestaret messem scheint mir ganz unglücklich; denn dem Ausdruck messis entspräche oben secare, nicht caedere, das nur vom Walde gebraucht werden kann. ↩