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Geliebteste! Einen Ehrentag beschied mir heute die göttliche Gnade, die mich aus meiner Niedrigkeit auf die höchste Stufe emporhob und dadurch deutlich zeigte, dass sie niemand unter den Ihrigen verachtet. Muß ich auch verzagen, wenn ich daran denke, ob ich dieser Stellung würdig bin, so gebietet mir doch eine heilige Pflicht, mich über die Gabe selbst zu freuen. Er, der mir die Bürde auferlegt, ist auch meine Stütze im Amte. Und damit ich in meiner Ohnmacht nicht unter der Größe des Gnadengeschenkes zusammenbreche, wird mir der die Kraft erteilen, der mir die Würde verlieh. So habe ich denn bei der1 Wiederkehr des Tages, an dem ich nach dem Willen des Herrn das Bischofsamt beginnen sollte, wohlberechtigten S. 4Grund, meine Freude hierüber durch eine Verherrlichung Gottes Ausdruck zu geben. Hat er mir doch viel verziehen, um auch viel Liebe von mir zu ernten. Um zu zeigen, wie wunderbar seine Gnade ist, überhäuft er den mit seinen Gaben, bei dem er keinerlei empfehlende Verdienste fand. Was sonst legt uns der Herr durch diese Tat ans Herz, oder was sonst empfiehlt er uns damit, als dass niemand auf seine Gerechtigkeit pochen und niemand an Gottes Barmherzigkeit zweifeln soll? Diese tritt so recht zutage, wenn der Sünder geheiligt und der Niedrige erhöht wird. Hängt ja das Maß der Himmelsgaben nicht von der Beschaffenheit unserer Werke ab. Wird doch auf dieser Welt, „in der das ganze Leben eine Versuchung ist“2 , nicht jedem nach Verdienst vergolten. Wollte hier der Herr auf unsere Ungerechtigkeiten schauen, so würde keiner vor seinem Urteil bestehen3 .
