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Geliebteste! Bei jeder Wiederkehr der Gnadentage des barmherzigen Gottes haben wir einen S. 6wohlberechtigten Grund, uns zu freuen, wenn man den Antrittstag eines übernommenen Amtes der Verherrlichung dessen weiht, der es verliehen hat. Ein solches Dankfest ziemt sich meines Erachtens für jeden Priester. Für mich ist es unerläßlich. Muß ja auch ich, wenn ich an meine Armseligkeit und Niedrigkeit denke und mir die Größe der übertragenen Aufgabe vor Augen halte, mit dem Propheten ausrufen: „Herr, ich hörte deine Stimme und fürchtete mich; ich betrachtete deine Werke und erzitterte“1 . Was ist so ungewöhnlich, was so beängstigend, als wenn der Schwache Anstrengungen auf sich nehmen soll, der Niedrige erhöht wird und dem Würde zufällt, der sie nicht verdient? Trotzdem verzweifeln und verzagen wir nicht, weil wir nicht vermessen auf uns vertrauen, sondern auf den, der in uns wirkt2 . Nicht zu unserem Ruhm, sondern zur Verherrlichung Christi des Herrn haben wir also, Geliebteste, miteinander den Psalm Davids gesungen3 . Auf den Herrn beziehen sich ja die prophetischen Worte: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedechs“4 . Das heißt: Nicht nach der Ordnung Aarons, dessen im Mannesstamm erbliches Priestertum5 nur eine Zeitlang den Dienst Gottes hatte6 und mit dem Alten Bunde aufhörte7 , sondern nach der Ordnung Melchisedechs, in dem das Vorbild des ewigen Hohenpriesters voranging8 . Und wenn wir die Eltern Melchisedechs nicht mit Namen kennen9 , so soll dies offenbar auf den hinweisen, für dessen Geburt die Sprache keine Worte findet. Wenn endlich das Geheimnis dieses göttlichen Priesteramtes auch auf Menschen überging, so erlangt man es doch nicht auf dem Wege leiblicher Abstammung oder wird S. 7dazu auserwählt, was Fleisch und Blut erzeugten. Aufgehört hat jedes Vorrecht, das sich vom Vater herleitet, und unbeachtet bleibt der Rang der Familien; denn die Kirche nimmt sich die zu Leitern, die der Heilige Geist dazu gerüstet hat. Nicht der durch seine Herkunft Bevorrechtigte erhält in der Gemeinde der Kinder Gottes, in der allen die Würde eines Priesters und Königs eigen ist10 , die Salbung, sondern die Würdigung der himmlischen Gnade beruft den Bischof.
