2.
Was Christus mit seiner Lehre beabsichtigt, das sagen uns seine heiligen Aussprüche, so daß alle, die zur ewigen Glückseligkeit gelangen wollen, die Stufen kennen, die sie zum höchsten Glücke emporführen: „Selig“,so prach er, „sind die Armen im Geiste; denn ihrer ist das Himmelreich!“1 . Es könnte vielleicht zweifelhaft sein, von welchen Armen die Ewige Wahrheit spricht, wenn sie den Worten: „Selig sind die Armen!“ nichts über die Art hinzufügte, die man darunter zu verstehen hat. Es könnte scheinen, daß, um den Himmel zu verdienen, die Not allein schon ausreicht, die viele unter dem Drucke schwerer und harter Verhältnisse zu ertragen haben. Da sie aber sagt: „Selig sind die Armen im Geiste!“, so bringt sie damit ganz deutlich zum Ausdruck, daß jenen das Himmelreich zuteil werden soll, die mehr die Demut ihrer Gesinnung als der Mangel an Mitteln empfiehlt. Es kann aber nicht bestritten werden, daß die Tugend der Demut leichter von den Armen als von den Reichen erworben wird; denn bei jenen bringt es ihre Dürftigkeit mit sich, daß sie sich gerne unterordnen, während bei den Reichen Überhebung naheliegt. Trotzdem findet man auch bei sehr vielen Begüterten das Streben, ihren Überfluß nicht zur Befriedigung maßlosen Hochmutes, sondern zu Werken der Nächstenliebe zu verwenden und das als größten Gewinn zu betrachten, was sie zur Linderung fremden Elends aufgewendet haben. Jede Klasse und jedem Stande ist die Möglichkeit geboten, sich diese Tugenden zu eigen zu machen, weil auch jene die gleiche Gesinnung haben können, die sich nicht des gleichen Wohlstandes erfreuen. Wo sich der Besitz an geistsigen Gütern als derselbe erweist, da kommt es nicht darauf an, ob die Mittel hier auf Erden die nämlichen sind oder nicht. Glückselig ist demnach jene Armut, die sich nicht von der Liebe zur Welt betören läßt, die nicht nach irdischem S. 483Gute verlangt, sondern sich reiche Schätze für den Himmel erwerben will.
Mt 5,3;Lk 6,20 ↩
