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Werke Gregor der Grosse (540-604) Regula pastoralis Buch der Pastoralregel (BKV)
Dritter Teil: Wie der Seelsorger, der ein gutes Leben führt, seine Untergebenen lehren und ermahnen muß

XII. Kapitel: Wie man Gesunde und wie man Kranke ermahnen muß

Anders muß man Gesunde, anders Kranke behandeln. Die Gesunden muß man ermahnen, die Gesundheit des Leibes zum Heile der Seele zu gebrauchen, damit sie nicht durch den Mißbrauch der Gnade der Gesundheit sündigen und später um so größere Strafe verdienen, je weniger sie sich vor dem unrechten Gebrauch der reichen Gottesgaben scheuten. Man muß sie auch ermahnen, die gute Gelegenheit, sich das ewige Heil zu erwerben, nicht unbenutzt zu lassen. Denn es steht geschrieben: „Sehet, jetzt ist die gnadenreiche Zeit, sehet, jetzt ist der Tag des Heiles!“1 Man muß ihnen sagen, daß sie später Gottes Wohlgefallen vielleicht nicht finden könnten, selbst wenn sie wollten, wenn sie jetzt nicht wollen, da sie könnten. Denn die Weisheit2 verläßt die später, die sie vorher lange umsonst rief, da sie spricht: „Ich rief, und ihr wolltet nicht; ich streckte meine Hand aus, und keiner achtete darauf; ihr verachtetet all meinen Rat und schluget meine Strafreden in den Wind; so will auch ich bei eurem Untergang lachen und spotten, wenn euch begegnet, was ihr fürchtet.“3 Und ferner: „Dann werden sie mich anrufen, und ich werde sie nicht erhören; frühe werden sie aufstehen und mich nicht finden.“4 Wenn man also die leibliche Gesundheit, die uns zum Gutestun geschenkt ist, gering schätzt, so wird man erst später, wenn man sie verloren, ihren Wert erkennen. Vergeblich sucht man dann zuletzt, was man zur rechten Zeit nicht benützen wollte.

Darum sagt Salomon treffend an einer anderen Stelle: „Gib nicht den Fremden deine Ehre noch deine Jahre dem Grausamen, daß nicht etwa Fremde sich sättigen von deinem Vermögen und deine Mühen in eines anderen S. 161 Haus kommen, daß du zuletzt nicht seufzen müssest, wenn du dein Fleisch und deinen Leib aufgezehrt hast.“5 Wer sind die Fremden, wenn nicht die bösen Geister, die aus dem himmlischen Vaterlande verstoßen sind? Worin besteht aber unsere Ehre, wenn nicht darin, daß wir, obwohl dem Leibe nach aus Erde gebildet, doch nach dem Bild und Gleichnis unseres Schöpfers geschaffen sind? Wer anders ist der Grausame als jener abtrünnige Engel, der durch seinen Stolz nicht nur sich selbst die Strafe des ewigen Todes zuzog, sondern auch nach seiner Verwerfung nicht abläßt, dem Menschengeschlechte den Tod zu bringen? Seine Ehre gibt also den Fremden, wer, nach Gottes Bild und Gleichnis erschaffen, die Zeit seines Lebens nach den Lüsten der bösen Geister verwendet. Und seine Jahre überliefert dem Grausamen, wer nach dem Willen des Fürsten der Bosheit die ihm geschenkte Lebensfrist vergeudet. Mit Recht heißt es darum noch an jener Stelle: „Damit nicht etwa Fremde sich sättigen von deinem Vermögen und deine Mühen in eines andern Haus kommen.“ Denn wer mit seiner Gesundheit oder mit seinen Geistesgaben nicht der Tugend, sondern dem Laster dient, der füllt mit seinem Vermögen nicht sein Haus, sondern die Wohnung Fremder, d. h. er wirkt auf Seite der unreinen Geister und bringt es durch seine sinnlichen Ausschweifungen oder durch seinen Stolz dahin, daß die Zahl der Verdammten durch ihn größer wird. Mit Recht heißt es darum noch: „Damit du nicht am Ende seufzest, wenn du dein Fleisch und deinen Leib verzehrt hast.“ Meistens wird nämlich die Gabe der Gesundheit durch Laster zugrundegerichtet; ist sie aber einmal dahin, wird das Fleisch von Siechtum gequält, steht das Hinscheiden der Seele bevor, dann ruft man nach der verlorenen, lange mißbrauchten Gesundheit, um nun ein gutes Leben zu führen. Dann, wenn sie durch treuen Dienst den Schaden nicht mehr gutmachen können, den sie sich durch ihre Nachlässigkeit zugefügt S. 162 haben, seufzen die Menschen darüber, daß sie Gott nicht hatten dienen wollen. Deshalb heißt es anderswo: „Als er sie tötete, da suchten sie ihn.6

Die Kranken hingegen sind zu ermahnen, sich um so mehr als Kinder Gottes zu fühlen, je mehr er sie mit der Zuchtrute schlägt. Denn wenn er nicht vor hätte, ihnen nach ihrer Besserung das Erbe zu verleihen, so würde er sie nicht durch Leiden erziehen lassen. Deshalb sprach der Herr durch den Engel zu Johannes: „Ich strafe und züchtige die, welche ich lieb habe.“7 Darum steht auch geschrieben: „Mein Sohn! Achte die Züchtigung des Herrn nicht gering und verzage nicht, wenn du von ihm zurechtgewiesen wirst! Denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er annimmt.“8 Darum sagt der Psalmist: „Zahlreiche Drangsale kommen über die Gerechten, aber der Herr rettet sie aus allen.“9 Darum ruft auch der heilige Job in seinem Schmerze aus: „Bin ich gerecht, so darf ich doch mein Haupt nicht erheben, da ich mit Trübsal und Elend gesättigt bin.“10 Man muß den Kranken sagen, es sei natürlich, daß sie auf dieser Welt Leiden ertragen müßten, da diese für sie ein Exil, der Himmel aber ihr Vaterland sei. Daher wurden die Steine zum Tempelbau auswärts behauen, so daß sie ohne Hammerschlag eingesetzt werden konnten; denn jetzt werden wir auch draußen durch Mühsal zurechtgehauen, um dann später in dem Tempel Gottes ohne weitere Züchtigung unsern Platz zu bekommen; alles, was überflüssig ist an uns, soll durch Züchtigung jetzt entfernt werden, damit dann nur noch das Band der Liebe uns dem Bau einzufügen braucht. Man muß den Kranken zu erwägen geben, wie die Kinder dieser Welt eine harte Zucht ertragen, um später eine irdische Erbschaft anzutreten. Kann dann noch eine Strafe aus Gottes Hand uns schwer erscheinen, S. 163 wenn wir durch sie eine unverlierbare Erbschaft erlangen und ewiger Strafe entgehen? Deshalb sagt Paulus: „Unsere leiblichen Väter hatten wir zu Züchtigern und erwiesen ihnen Ehrfurcht; sollten wir uns nicht viel mehr dem Vater der Geister unterwerfen und so leben? Jene züchtigten uns für die Zeit weniger Tage nach ihrem Gutdünken, er aber für das, was heilsam ist, damit wir an seiner Heiligkeit Anteil erlangen.“11 Man muß den Kranken zu erwägen geben, wie sehr die leibliche Krankheit zum Heil der Seele gereiche, da sie den Geist wieder zur Selbstkenntnis bringt und uns unsere Schwäche ins Gedächtnis zurückruft, deren man in gesunden Tagen so häufig vergißt. Da wird die Seele, die sich selbst verloren hatte und stolz geworden war, gerade durch den körperlichen Schmerz wieder an die Lage erinnert, in der sie sich befindet. Dies wird uns treffend an Balaam gezeigt — wenn er nur der Stimme Gottes sich hätte gehorsam fügen wollen —, als er bei seiner Reise einen Aufenthalt erfuhr. Balaam sucht nämlich an sein Ziel zu kommen; aber das treue Tier, das er ritt, verhindert ihn daran. Die Eselin bleibt längere Zeit stehen und sieht einen Engel, den menschlicher Verstand nicht sieht. So zeigt oft der durch das Leiden niedergedrückte Leib der Seele ihren Gott, den sie selbst, obwohl dem Leibe vorgesetzt, nicht sah. Der Leib hält den Geist, der nur darauf bedacht war, in der Welt vorwärts zu kommen, wie einen Reisenden auf, bis er ihm den Unsichtbaren, der ihm in den Weg tritt, gezeigt hat. Darum sagt treffend der heilige Petrus: „Die Strafe für seinen Wahnsinn empfing er von einem sprachlosen Lasttier, das mit Menschenstimme redend der Torheit des Propheten wehrte.“12 Die Torheit des Menschen wird von einem sprachlosen Lasttier zurechtgewiesen, wenn dem stolzen Geist von dem leidenden Körper die Tugend der Demut, die er hätte bewahren sollen, in Erinnerung gebracht wird. Balaam aber hatte deshalb keinen Nutzen von die- S. 164 ser Zurechtweisung, weil er seine Reise fortsetzte, um einen Fluch auszusprechen, und wohl seine Worte änderte, aber nicht sein Herz. Man muß den Kranken zu erwägen geben, welch große Aufgabe körperliches Leid zu erfüllen hat, da es die begangenen Sünden tilgt, neue zu begehen hindert und das erschütterte Herz durch den Stachel äußerer Schmerzen mit Reue durchbohrt. Darum steht geschrieben: „Striemen reinigen vom Bösen und Schläge, die ins Innerste des Leibes eindringen.“13 „Striemen reinigen das Böse“, d. h. der Schmerz, den die Geißel Gottes verursacht, nimmt sowohl Gedanken- als Tatsünden hinweg. Unter dem „Innersten des Leibes“ aber pflegt man die Seele zu verstehen, weil die Seele so die Gedanken durch Überlegung zur Reife bringt, wie im Innern des Leibes die Speisen verdaut werden. Daß die Seele das Innerste des Leibes genannt wird, sehen wir aus jenem Ausspruch der Schrift: „Eine Leuchte des Herrn ist des Menschen Lebenshauch, die alles im Innern des Leibes erhellt.“14 Es soll damit ausgedrückt sein: Wenn die Erleuchtung des göttlichen Geistes in die Seele des Menschen dringt, so zeigt sie derselben in hellem Lichte ihr eigenes Bild, während sie vor der Einkehr des Heiligen Geistes böse Gedanken zu hegen vermochte, ohne deren Schwere zu erkennen. Striemen also und Schläge, die ins Innerste des Leibes eindringen, reinigen vom Bösen, weil wir bei körperlicher Erkrankung stille und betrübt uns unserer Sünden erinnern, all unsere Missetaten uns vor Augen stellen und infolge des leiblichen Schmerzes noch größern innern Schmerz über unsere Sünden empfinden. So kommt es, daß bei körperlichen Leiden uns ein Schlag, der in das „Innerste des Leibes“ eindringt, reinigt, weil innerer Schmerz die Sündenkrankheit heilt.

Man muß die Kranken zur Tugend der Geduld ermahnen und ihnen sagen, daß sie unablässig die Leiden betrachten sollen, die der Erlöser von seinen Geschöpfen S. 165 erdulden mußte; daß er so viele gemeine Schmähungen ertragen mußte; daß er, der Tag für Tag die Seelen Gefangener der Hand des Urfeindes entreißt, verspottet und ins Gesicht geschlagen wurde; daß er, der mit dem Wasser des Heiles uns reinigt, sein Angesicht von Ruchlosen anspeien ließ; daß er, der durch seine Mittlerschaft uns von der ewigen Verdammnis befreit, stillschweigend die Geißelung ertragen; daß er, der uns auf ewig Ehrenplätze unter den englischen Chören anweist, Backenstreiche empfangen; daß er, der unsere Sündenwunden heilt, sich nicht weigerte, sein Haupt unter die Dornenkrone zu neigen; daß er, der uns mit ewiger Süßigkeit erfüllt, mit bitterer Galle getränkt wurde; daß er, der für uns den Vater, obschon gleicher Gott, angebetet, zum Spotte angebetet wurde und dazu geschwiegen hat; daß er, der den Toten das Leben schenkt, er, das Leben selbst, in den Tod ging. Wie kann man es da noch für hart finden, daß der Mensch von Gott für seine Sünden gestraft wird, da Gott für seine Wohltaten von den Menschen so große Unbilden erleiden wollte? Oder wer könnte, wenn er bei gesundem Verstand ist, noch undankbar wegen seines Leidens sein, da selbst derjenige die Welt nicht ohne Leiden verließ, der ohne Sünde in ihr lebte?


  1. 2 Kor. 6, 2. ↩

  2. d. h. die Gnade Gottes. ↩

  3. Sprichw. 1, 24 ff. ↩

  4. Ebd. 1, 28. ↩

  5. Sprichw. 5, 9 ff. ↩

  6. Ps. 77, 34. ↩

  7. Offenb. 3, 19. ↩

  8. Hebr. 12, 5 f. nach Sprichw. 3, 11 f. ↩

  9. Ps. 33, 20. ↩

  10. Job 10, 15. ↩

  11. Hebr. 12, 9 f. ↩

  12. 2 Petr. 2, 16. ↩

  13. Sprichw. 20, 30. ↩

  14. Ebd. 20, 27. ↩

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