XVIII. Kapitel: Wie man Eigensinnige und wie Wankelmütige zu ermahnen hat
Anders muß man Eigensinnige, anders Wankelmütige ermahnen. Jenen muß man sagen, daß sie sich für mehr halten, als sie wirklich sind, und darum den Ratschlägen anderer kein Gehör schenken; diesen muß man zu verstehen geben, daß sie sich selbst geringschätzend behandeln und deshalb jeden Augenblick ihr Urteil nach ihren flüchtigen Gedanken ändern. Jenen muß man sagen, daß sie nur deshalb ihrer Meinung die Ratschläge aller nachsetzen, weil sie sich für besser als die übrigen S. 183 halten; diesen aber muß man sagen, daß sie sich nicht wie der Wind nach allen Seiten drehen würden, wenn sie nur einige Hochachtung vor sich selbst hätten. Zu jenen sagt Paulus: „Haltet euch nicht selbst für klug!“1 Zu diesen aber sagt er: „Laßt uns nicht umhergetrieben werden von jedem Winde der Lehre!“2 Von jenen sagt Salomon: „Sie werden die Früchte ihres Wandels kosten und an ihren eigenen Anschlägen sich sättigen;“3 von diesen aber schreibt er: „Das Herz der Toren ist ungleichartig.“4 Das Herz der Weisen ist nämlich immer sich selbst gleich, weil es nach richtiger Überzeugung handelt und unentwegt sich auf das Gute richtet. Das Herz der Toren aber ist ungleichartig, weil es sich bald so, bald anders zeigt und nie das bleibt, was es gewesen. Weil aber manche Fehler, wie sie andere erzeugen, so auch selbst wieder aus andern Fehlern entspringen, so muß man sehr wohl beachten, daß wir sie dann am ehesten durch unsere Mahnung austilgen, wenn wir ihre bittere Quelle austrocknen. Der Eigensinn kommt nämlich vom Stolz, der Wankelmut aber vom Leichtsinn. Man muß also die Eigensinnigen ermahnen, ihr stolzes Wesen einzusehen und sich selbst mehr zu überwinden; denn sie würden doch nur, indem sie gut gemeinte Mahnungen zurückweisen, innerlich Sklaven ihres Stolzes sein. Man muß sie zu sorgfältiger Erwägung ermahnen, daß der Menschensohn, der immer gleichen Willens mit dem Vater ist, uns ein Beispiel gibt, den eigenen Willen zu brechen, indem er spricht: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat, des Vaters.“5 Um uns die Schönheit dieser Tugend zu empfehlen, sagt er noch zuvor, er werde sich selbst beim letzten Gerichte an dies halten: „Ich kann nichts aus mir selbst tun, sondern wie ich höre, so richte ich.“6 Wie kann es also der Mensch mit seinem Gewissen vereinbaren, das Eingehen auf einen fremden Wil- S. 184 len von der Hand zu weisen, wenn der Gottes- und Menschensohn erklärt, daß er nicht aus sich selbst richten werde, wenn er kommt, um seine Herrlichkeit und Macht zu zeigen?
Die Wankelmütigen dagegen muß man zur Festigung ihres Gemütes mahnen. Denn nur wenn die Wurzel des Leichtsinns abgeschnitten ist, können die Keime des Wankelmutes verdorren. So wird auch nur dann ein fester Bau errichtet, wenn zuerst für einen festen Boden zum Fundament gesorgt ist. Wenn man sich also nicht zuvor vor dem Leichtsinn in acht nimmt, wird man die Unbeständigkeit der Gedanken keineswegs besiegen. Paulus versichert, daß er mit diesen keine Ähnlichkeit habe, indem er sagt: „Habe ich nun leichtsinnig gehandelt? Oder was ich vorhabe, habe ich es dem Fleische gemäß vor, so daß bei mir bald Ja, bald Nein ist?“7 Er will damit offenbar sagen: Darum bewegt mich der Wind der Veränderlichkeit nicht, weil ich dem Fehler des Leichtsinns nicht unterliege.