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Œuvres Tertullien (160-220) De corona militis

Edition Masquer
De corona militis

IV

[1] Harum et aliarum eiusmodi disciplinarum si legem expostules, scripturarum nullam leges. Traditio tibi praetendetur auctrix et consuetudo confirmatrix et fides obseruatrix. Rationem traditioni et consuetudini et fidei patrocinaturam aut ipse perspicies aut ab aliquo qui perspexerit disces. Interim non nullam esse credes cui debeatur obsequium. [2] Adicio unum adhuc exemplum, quatinus et de ueteribus docere conueniet. Apud Iudaeos tam sollemne est feminis eorum uelamen capitis ut inde noscantur. Quaero legem, apostolum differo. Si Rebecca conspecto procul sponso uelamen inuasit, priuatus pudor legem facere non potuit, aut, causae suae fecerit, tegantur uirgines solae, et hoc nuptum uenientes, nec antequam cognouerint sponsos. [3] Si et Susanna in iudicio reuelata argumentum uelandi praestat, possum dicere: "Et hic uelamen arbitrii fuit." Rea uenerat, erubescens de infamia sua, merito abscondens decorem, uel quia timens iam placere. Ceterum in stadio mariti non putem uelatam deambulasse quae placuit. Fuerit nunc uelata semper, in ipsa quoque legem habitus requiro uel in quacumque alia. [4] Si legem nusquam reperio, sequitur ut traditio consuetudini morem hunc dederit, habiturum quandoque apostoli auctoritatem ex interpretatione rationis. His igitur exemplis renuntiatum erit posse etiam non scriptam traditionem in obseruatione defendi, confirmatam consuetudine, idonea teste probatae tunc traditionis ex perseuerantia obseruationis. [5] Consuetudo autem etiam in ciuilibus rebus pro lege suscipitur, cum deficit lex, nec differt scriptura an ratione consistat, quando et legem ratio commendet. Porro si ratione lex constat, lex erit omne iam quod ratione constiterit a quocumque productum. An non putas omni fideli licere concipere et constituere, dumtaxat quod Deo congruat, quod disciplinae conducat, quod saluti proficiat, dicente Domino: "Cur autem non et a uobis ipsis quod iustum iudicatis?" [6] Et non de iudicio tantum, sed de omni sententia rerum examinandarum dicit et apostolus: "Si quid ignoratis, Deus uobis reuelabit", solitus et ipse consilium subministrare, cum praeceptum Domini non habebat, et edicere a semetipso, spiritum Dei habens deductorem omnis ueritatis. Itaque consilium eius diuini iam praecepti instar obtinuit de rationis diuinae patrocinio. [7] Hanc nunc expostula saluo traditionis respectu, quocumque traditore censetur, nec auctorem respicias, sed auctoritatem, et in primis consuetudinis ipsius quae propterea colenda est ne non sit rationis interpres, ut, si et hanc Deus dederit, tunc discas non an obseruanda sit tibi consuetudo, sed cur.

Traduction Masquer
Vom Kranze des Soldaten (BKV)

4. Kap. Fortsetzung.

Wolltest du für diese und andere Punkte der Kirchenzucht eine ausdrückliche Vorschrift aus der Hl. Schrift verlangen, so würdest du keine auftreiben. Man wird dir die Tradition entgegenhalten als die Urheberin davon, die stete Übung als die Bestätigung dafür und den Glauben als den Befolger derselben. Den Grund aber, der für die Tradition, die stete Übung und den Glauben spricht, wirst du entweder selbst erkennen, oder von einem erfahren, der ihn erkannt hat. Bis dahin wirst du im Glauben annehmen, daß ein solcher vorhanden ist, dem man Gehorsam schuldet.

Ich füge noch ein Beispiel hinzu aus dem Alten Bunde, soweit man füglich auch aus diesem Lehren aufstellen kann. Bei den Juden ist der Gebrauch, daß die Frauen einen Schleier über den Kopf tragen, ein so fester, daß man sie daran erkennt. Ich frage nun, wo S. 238ist das darauf bezügliche Gesetz? Vom Apostel sehe ich hier ab1. Wenn sich Rebekka, als sie den Bräutigam von weitem erblickte, schnell einen Schleier anlegte2, so konnte ihre persönliche Sittsamkeit nicht ein allgemeines Gesetz werden, oder es wäre höchstens eins für die in ihrem Falle befindlichen Frauenspersonen geworden. Es müßten sich die Jungfrauen allein verschleiern, und zwar nur dann, wenn sie zur Vermählung sich einfinden, und nicht eher, als bis sie ihren Bräutigam erblickt haben. Wenn Susanna vor dem Gerichtshofe verschleiert erscheint3 und auch damit ein Beispiel für das Verschleiern bietet, so sage ich, auch hier liegt nur eine in freie Wahl gestellte Verschleierung vor. Sie war als Angeschuldigte hergekommen; errötend wegen der üblen Rede, die über sie ging, verbarg sie mit Recht ihre Schönheit, oder auch deswegen, weil sie fürchtete, noch jetzt zu gefallen. Aber in dem Baumgarten ihres Gemahls spazierte sie, die so gefiel, glaube ich, nicht verschleiert umher. Mag sie nun auch immer verschleiert gewesen sein; - ich frage bei ihr sowie bei einer jeden andern nur, wo ist das Gesetz für diese Kleidungsweise?

Wenn ich nirgends ein solches Gesetz entdecke, so folgt daraus, daß die Tradition es war, welche dieser Sitte Gewohnheitskraft gegeben hat, welch letztere dann späterhin infolge der Erklärung der Gründe4 die Autorität des Apostels für sich haben sollte. Mit diesen Beispielen dürfte dargetan sein, daß auch eine nicht in der Hl. Schrift vorfindliche Tradition sich wegen ihrer Beobachtung5 rechtfertigen lasse, wenn sie bestätigt S. 239wird durch die Gewohnheit; denn diese bezeugt infolge der fortgesetzten Befolgung der betreffenden Gebräuche hinlänglich, daß die Tradition dazumal als eine echte6 anerkannt wurde. Man läßt ja die Gewohnheit auch in bürgerlichen Angelegenheiten, wenn kein Gesetz vorhanden ist, statt eines Gesetzes gelten, und es macht keinen Unterschied, ob sie auf etwas Geschriebenem oder auf einem Vernunftgrund beruhe, da ja auch die Gesetze erst durch Vernunftgemäßheit ihre Empfehlung erhalten. Folglich, wenn das Gesetz seinen festen Bestand in der Begründung durch die Vernunft hat, so wird alles, was durch eine vernünftige Begründung Bestand hat, Gesetz sein, mag es von wem auch immer eingeführt worden sein. Oder bist du nicht der Ansicht, daß jeder Gläubige die Freiheit habe, in seinem Geiste zu empfangen und etwas festzusetzen? - freilich nur etwas, was Gott angemessen, der Kirchenzucht förderlich und dem Seelenheil dienlich ist, da der Herr sagt: „Warum urteilet ihr nicht auch von euch selbst, was Recht ist?“7 Auch der Apostel sagt nicht bloß mit Bezug auf das Richten, sondern mit Bezug auf jeden Urteilsspruch über zu prüfende Sachen: „Wenn ihr etwas nicht wisset, so wird Gott es euch offenbaren“8; er selbst pflegte, im Fall er eine Vorschrift des Herrn nicht besaß, einen Rat zu geben und aus sich selbst zu reden, da er im Besitz des Geistes Gottes war, der in alle Wahrheit einführt. So behauptete denn sein bloßer Rat gewissermaßen bereits gleichen Rang mit der göttlichen Vorschrift infolge davon, daß er sich auf die göttliche Vernunft stützte. Nach dieser letzteren9 frage jetzt, wobei die Hochachtung vor der Überlieferung unangetastet bleibt, von welchem Überlieferer sie sich auch immer herschreiben möge; man hat nicht auf den Urheber zu sehen, sondern auf das Ansehen, insbesondere auch der Gewohnheit S. 240selber. Diese ist aus keinem andern Grunde in Ehren zu halten, als weil sie ein Dolmetscher der vernünftigen Begründung ist, so daß, wenn Gott uns auch einen Einblick in diese letztere verleiht, man nicht sowohl die Einsicht darin erlangt, o b die Gewohnheit zu beobachten sei, sondern vielmehr, warum sie es sei.


  1. weil dessen Vorschrift, 1 Kor. 11,5 ff., ins Neue Test. gehört. ↩

  2. Gen. 24,65. ↩

  3. Dan. 13,32. ↩

  4. die der Apostel anführt, vgl. de orat. 21 und die Schrift de virg. velandis. ↩

  5. Non scriptam traditionem in observatione defendi posse darf nicht übersetzt werden „daß sich bei Gebräuchen auch eine nicht in der Hl. Schrift vorfindliche Tradition verteidigen lasse“; „in observatione“ bedeutet vielmehr: sie wird dadurch gerechtfertigt und verteidigt, daß sie allgemein geübt wird, oder es ist zu lesen „in observationem“ = so daß sie zu beobachten ist. Zum Gebrauch von „in“ in diesem Sinne vgl. Hoppe 39. ↩

  6. probatae tunc traditionis = eine Tradition, die damals, als sie eingeführt wurde, als eine echte, als eine solche erkannt wurde, die auf der „ratio“ beruht. ↩

  7. Luk. 12,57. ↩

  8. Phil. 3,15; vgl. 1 Kor. 6,1 ff. ↩

  9. der ratio, dem Vernunftgrund. ↩

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