21. Kapitel: Stilproben aus den Kirchenlehrern
45. Die Worte des Apostels sind zwar klar, sie sind aber auch tief und so geschrieben und überliefert, daß sie nicht bloß einen Leser und Hörer, sondern auch einen Erklärer brauchen, wenn sich einer nicht mit der Oberfläche begnügt, sondern die Tiefe sucht. Daher wollen wir auch den Stil jener Männer kennen lernen, die durch die Lektüre jener Schriften zur Wissenschaft göttlicher und heilsamer Dinge gelangt sind und dieses Wissen wieder der Kirche übermittelt haben. Der heilige Cyprian bedient sich des niederen Stiles in jenem Buch, wo er über das Geheimnis des Kelches spricht. Darin wird nämlich die Frage gelöst, ob der Kelch des Herrn Wasser allein oder mit Wein vermischt enthalten müsse. Beispielshalber wollen wir daraus etwas anführen. Nach der Einleitung des Briefes beginnt er die gestellte Frage folgendermaßen zu lösen1: „Wisse, daß wir zufolge der uns gewordenen Ermahnung bei Darbringung des Kelches die vom Herrn stammende S. 206Überlieferung beobachten sollen und daß von uns nichts geschehen darf, als was der Herr zuerst für uns getan hat, daß nämlich der Kelch, der zu seinem Andenken dargebracht wird, mit Wein gemischt und so dargebracht wird. Denn da Christus sagt: ‚Ich bin der wahre Weinstock2‘, so ist sicherlich nicht das Wasser, sondern der Wein Christi Blut. Man kann auch nicht glauben, sein Blut, durch das wir erlöst und belebt worden sind, sei im Kelche, wenn in demselben nicht Wein ist, durch den Christi Blut angedeutet wird. Das wird aber durch den geheimnisvollen Sinn und das offene Zeugnis aller (heiligen) Schriften vorher verkündet. So finden wir im Buche Genesis3 bezüglich dieses Geheimnisses, daß Noe gerade darin vorausgegangen und gerade damit ein Vorbild des Leidens des Herrn gewesen ist, daß er Wein trank, sich berauschte, sich in seinem eigenen Hause entblößte und mit nackten und entblößten Schenkeln dalag. Diese Entblößung des Vaters wurde von seinem mittleren Sohn (mit Hohn) bemerkt, von den beiden anderen Söhnen, dem älteren und dem jüngeren, aber zugedeckt; was noch folgt, brauche ich nicht weiter zu verfolgen. Denn es genügt, uns einzig an die Tatsache zu halten, daß Noe, der ein Vorbild der künftigen Wahrheit darstellt, nicht Wasser, sondern Wein getrunken und so ein Bild des Leidens des Herrn dargestellt hat. Geradeso sehen wir in dem Priester Melchisedech das Geheimnis des Herrn vorgebildet nach dem, was die göttliche Schrift bezeugt, wenn sie sagt: ‚Und Melchisedech, der König von Salem, brachte Brot und Wein dar. Er war aber Priester des allerhöchsten Gottes und segnete den Abraham4.‘ Daß aber Melchisedech ein Vorbild Christi darstellt, das erklärt der Heilige Geist in den Psalmen, wenn er in der Person des Vaters zum Sohne spricht: ‚Vor dem Morgenstern habe ich dich gezeugt; du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech5‘.“ Diese und S. 207die anderen noch folgenden Stellen des Briefes sind im niederen Redestil gehalten, wie die Leser leicht erkennen können.
46. Auch der heilige Ambrosius bedient sich bei der Behandlung einer bedeutenden Sache, nämlich bei dem Nachweis der Gleichheit des Heiligen Geistes mit dem Vater und dem Sohne, des niederen Stiles, weil dieser Gegenstand kein Wortgepränge oder eine mächtige innere Bewegung zur Rührung des Gemütes, sondern bloß sachgemäße Beweisgründe verlangt. Er sagt also am Anfang dieses Werkes unter anderem: „Durch diese Weissagung wurde Gedeon erschüttert. Da er gehört hatte, der Herr werde trotz des Abfalles Tausender aus den Völkern sein Volk durch einen einzigen Mann erretten, so brachte er einen Ziegenbock als Opfer dar. Nach der Weisung des Engels legte er dessen Fleisch und ungesäuerte Brote auf einen Felsen und goß Fleischbrühe darüber. Sobald nun der Engel mit der Spitze des Stabes, den er in der Hand trug, daran rührte, brach Feuer aus dem Felsen hervor und verzehrte das dargebrachte Opfer6. Durch dieses Zeichen scheint erklärt worden zu sein, daß jener Fels das Vorbild des Leibes Christi darstellte, weil geschrieben steht: ‚Sie tranken aus dem folgenden Felsen; der Felsen aber war Christus7.‘ Dies war aber sicherlich nicht mit Beziehung auf seine Gottheit, sondern in Hinsicht auf sein Fleisch gesagt; denn dies hat die Herzen der dürstenden Völker mit der nie versiegenden Quelle seines Blutes reichlich übergössen. Schon damals also wurde in geheimnisvoller Weise erklärt, daß der Herr Jesus, durch seine Kreuzigung im Fleische die Sünden der ganzen Welt, und zwar nicht bloß die sündhaften Taten, sondern selbst die bösen Begierden der Seele tilgte. Es bezieht sich nämlich das Fleisch des Ziegenbockes auf die Schuld der Tat, die Brühe aber auf die Lockungen der Begierlichkeit, wie geschrieben steht: ‚Und das Volk entbrannte in sehr böser Lust und sprach: Wer S. 208wird uns Fleisch zu essen geben8?‘ Der Umstand aber, daß der Engel seinen Stab ausstreckte und den Weisen berührte, von dem dann Feuer ausging, zeigt an, daß das vom göttlichen Geist erfüllte Fleisch Christi alle Sünden der Menschheit verbrannte. Daher sagt der Herr: ‚Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen9‘.“ Was er an der Stelle noch weiter sagt, darin bemüht er sich vorzugsweise die Sache zu erklären und zu beweisen10.
47. Zur gemäßigten Stilgattung gehört bei Cyprian das berühmte Lob der Jungfräulichkeit: „Jetzt haben wir zu den Jungfrauen zu sprechen, für die wir um so größere Sorge hegen, je erhabener ihr Ruhm ist. Sie sind die Blüten am Stamme der Kirche, die Zierde und der Schmuck der geistlichen Gnade, die erfreuliche Anlage, das reine und unversehrte Werk des Ruhmes und der Ehre, das der Heiligkeit des Herrn entsprechende Ebenbild Gottes, der erlauchteste Teil der Herde Christi. Ihrer freut sich, in ihnen erblüht üppig der ruhmreiche Schoß der Mutter Kirche, um je mehr die Schar der Jungfrauen noch weiter an Zahl zunimmt, desto größer wird auch die Freude der Mutter11.“ An einer anderen Stelle gegen Ende dieses Briefes sagt Cyprian: „Wie wir das Bild dessen getragen haben, der von Lehm ist, so lasset uns auch das Bild dessen tragen, der vom Himmel ist12! Dieses Bild trägt die Jungfräulichkeit, trägt die Reinheit, trägt die Heiligkeit und die Wahrheit; dieses Bild tragen alle, die der Zucht des Herrn gedenken, die an der Gerechtigkeit und Frömmigkeit festhalten, die standhaft sind im Glauben, demütig in der Furcht und entschlossen, alles mutig zu erdulden, die voll Sanftmut das Unrecht ertragen, bereitwillig Barmherzigkeit üben und in einmütiger Eintracht S. 209in brüderlichem Frieden leben. Dies alles, ihr guten Jungfrauen, müßt ihr beobachten, lieben und erfüllen, die ihr, nur Gott und Christus ergeben, mit dem größeren und besseren Teil zu dem Herrn voranschreitet, dem ihr euch geweiht habt. Ihr Älteren, macht die Lehrerinnen der Jüngeren; ihr Jüngeren, macht die Dienerinnen der Älteren und dient den Gleichaltrigen zum Ansporn! Treibt euch an durch gegenseitige Ermunterungen; feuert einander an durch wetteifernde Beweise der Tugend, damit ihr zur Herrlichkeit gelangt! Harret mutig aus, fahret fort im Geiste, erreichet glücklich das Ziel! Nur gedenket dann auch unser, wenn die Jungfräulichkeit anfängt in euch verherrlicht zu werden13!“
48. Auch Ambrosius hält im gemäßigten blühenden Stil denen, die Jungfräulichkeit gelobt haben, gleichsam ein Muster zur Nachahmung vor und sagt: „Maria war Jungfrau nicht bloß dem Leibe, sondern auch dem Geiste nach: kein verhohlenes Buhlen, mit dem sie die Reinheit der Gesinnung verletzte. Von Herzen demütig, in Worten bedächtig, klugen Sinnes, im Gespräch mehr karg, um so eifriger in der Lesung. Nicht auf das Unzuverlässige des Reichtums, sondern auf das Gebet der Armen setzte sie ihre Hoffnung. Sie war bedacht auf die Arbeit, sittsam in der Rede, gewohnt, nicht einen Menschen, sondern Gott als Zeugen ihres geistigen Sinnes beizuziehen. Niemand beleidigte sie, meinte es allen gut, erhob sich vor älteren Personen, war gegen ihresgleichen nicht gehässig, mied eitles Prahlen, folgte der Vernunft, liebte die Tugend. Wann hätte sie auch nur mit einer Miene den Eltern wehe getan? Wann sich mit den Verwandten entzweit? Wann niedere Leute verachtet? Wann die Bresthaften verlacht? Wann einen Dürftigen gemieden? Sie war gewohnt, nur solche Mannspersonen aufzusuchen, vor denen die Barmherzigkeit nicht zu erröten, an denen das Zartgefühl nicht vorüberzugehen brauchte. Nichts Scheeles lag in ihren Augen, nichts Freches in ihren Worten, nichts Schamloses in ihrem Benehmen. Die Haltung war nicht zu weichlich, S. 210der Gang nicht zu ausgelassen, die Rede nicht zu leichtfertig, so daß schon die äußere Erscheinung ein Abbild ihres Geistes, ein Sinnbild ihrer Tugendhaftigkeit war. Ein gutes Haus muß doch schon im Vorraum als solches sich erkennen, zum voraus beim ersten Betreten schon ersehen lassen, daß sich im Innern keine Finsternis birgt: so soll auch unser Geist wie ein Licht, das im Innern auf den Leuchter gestellt ist14, seinen Schein nach außen werfen. Was soll ich des weiteren auf das karge Maß ihrer Speisen, auf das überreiche ihrer (religiösen) Übungen hinweisen? Das eine überstieg die natürliche Kraft, das andere war fast nicht mehr natürlich. Hier gab es keinerlei Unterbrechung, dort verdoppelte Fasttage. Und wenn sich einmal das Verlangen nach Erquickung einstellte, dann diente meist die nächstbeste Speise mehr dazu, den Tod zu verhüten, denn Genusse zu gewähren usw.15.“ Diese Stelle habe ich deswegen als Beispiel eines gemäßigten Stiles angeführt, weil Ambrosius hier nicht solche, die noch nicht gelobt haben, zur Ablegung des Gelübdes der Jungfräulichkeit auffordert, sondern einfach schildert, wie diejenigen sein müssen, die sich dem Herrn schon durch ein Gelübde versprochen haben. Denn sollte der Geist einen Vorsatz von solcher Bedeutung erst fassen, dann muß er sicherlich dazu durch den erhabenen Stil angeregt und entzündet werden. — Der Märtyrer Cyprian hat allerdings bloß über die Haltung (de habitu) der Jungfrauen geschrieben und nicht über die Übernahme des Gelübdes der Jungfräulichkeit, und dennoch hat jener Bischof die Jungfrauen zu diesem Zweck mit einer erhabenen Sprache angefeuert.
49. Aus einem von beiden Männern behandelten Stoff will ich nun zwei Proben des erhabenen Stiles anführen: beide zogen nämlich einmal gegen jene Frauen los, die sich mit Schminke färben oder, besser gesagt, S. 211mißfärben. Der erste von ihnen sagt bei Behandlung dieses Stoffes unter anderem: „Wenn ein Meister der Malerei das Gesicht, die Gestalt und die körperliche Beschaffenheit eines Menschen ganz täuschend in Farben dargestellt hätte und ein anderer wollte an das schon fertige und vollendete Bild Hand anlegen und das schon Gestaltete, das schon Gemalte umarbeiten, als verstünde er es besser, so würde das als eine schwere Beleidigung für den ersten Künstler gelten und seine Entrüstung darüber würde berechtigt erscheinen. Und du glaubst, die Vermessenheit deines so gottlosen Treibens, die Verletzung des göttlichen Meisters werde dir ungestraft hingehen? Gesetzt auch, du seiest trotz der buhlerischen Schminken den Menschen gegenüber nicht unzüchtig und unkeusch, so bist du doch eines schlimmeren Vergehens schuldig als eine Ehebrecherin, nachdem du das, was Gottes ist, verdorben und verletzt hast. Was du für Schmuck, was du für Putz hältst, das ist ein Angriff auf das göttliche Werk, ist eine Fälschung der Wahrheit. Ein Wort des mahnenden Apostels lautet: ‚Schaffet hinaus den alten Sauerteig, damit ihr ein neuer Teig seid, gleichwie ihr ungesäuert seid! Denn auch unser Osterlamm, Christus, ist geopfert. Darum lasset uns Feste feiern nicht im alten Sauerteig und nicht im Sauerteig der Bosheit und Nichtswürdigkeit, sondern im ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit16!‘ Hat etwa Lauterkeit und Wahrheit Bestand, wenn das, was lauter ist, durch unechte Farben befleckt, wenn das Wahre durch künstliche Mittel in Lüge verkehrt wird? Dein Herr sagt: ‚Du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen17.‘ Und du willst die Macht haben, das Wort deines Herrn zu widerlegen, färbst in frechem Unterfangen und in gotteslästerlicher Mißachtung deine Haare, legst dir in schlimmer Vorahnung der Zukunft schon im voraus flammenfarbige Haare bei. …18.“ Doch es würde zu weit führen, hier alles einzufügen, was noch folgt.
S. 21250. Ambrosius aber sagt in seiner Klage über solche Frauen folgendermaßen: „… Daher stammen auch jene Reizmittel zur Sünde. In der Besorgnis, den Männern zu mißfallen, schminkt man sich mit künstlichen Farben das Gesicht und schweift mit seinen Gedanken vom schamlos gefälschten Gesicht zu schamloser Verletzung der Keuschheit. Welch unsinnige Torheit liegt in dem Beginnen, sein natürliches Bild zu verändern, ein übermaltes zu schaffen und, während man ein mißbilligendes Urteil des Gatten scheut, zu verraten, daß man sich selbst mißfällt! Denn eine solche fällt zuvor ein Urteil über sich, wenn sie das Aussehen zu ändern sucht, das ihr von Geburt eignet. Während sie auf solche Weise anderen zu gefallen strebt, muß sie doch zuvor sich selbst mißfallen. Könnten wir, o Weib, einen unparteiischeren Richter deiner Häßlichkeit beiziehen als dich selbst, als deine Angst dich (mit dem wahren Gesicht) sehen zu lassen? Bist du schön, wozu das Verbergen? Bist du unschön, wozu eine erlogene Schönheit? Du wirst so weder das Wohlgefallen des eigenen Gewissens noch des irregeführten anderen Teiles gewinnen. Er liebt ja eine andere, du begehrst einem anderen zu gefallen. Und du willst aufgebracht sein, wenn er seine Liebe einer Dritten schenkt? An dir doch hat er das schamlose Treiben19 gelernt, du bist die schlimme Lehrerin des Unrechts, das dir widerfährt. Sogar eine solche, die sich dem Verführer in die Arme geworfen, verschmäht es, selbst die Verführerin zu spielen. Ist sie auch ein feiles Weib, macht sie sich doch nicht fremder, sondern nur eigener Sünde schuldig. Und fast erträglicher erscheint in diesem anderen Fall die Lasterhaftigkeit; denn da wird die Keuschheit, in unserem Fall die Natur geschändet20.“ Aus diesen Mahnungen geht, wie ich meine, deutlich genug hervor, daß die Frauen ihr Gesicht nicht durch Schminke fälschen sollen und daß sie sich bei Anwendung einer solchen Beredsamkeit heftig zu Scham und Furcht angetrieben fühlen müssen. S. 213Darum können wir diesen Stil auch nicht für einen niedrigen oder gemäßigten, sondern durchaus nur für einen erhabenen erklären. Die zwei Kirchenväter, die ich allein von allen anführen wollte, und andere kirchlich gesinnte Männer haben das Gute wirklich gut, d. h. so wie es der Gegenstand verlangt, scharfsinnig und in blühendem, feurigem Stil besprochen. In ihren vielen Schriften und Reden lassen sich alle drei Stilgattungen auffinden und können durch eifriges Lesen oder Anhören in Verbindung mit eigener Übung von solchen, die einen Lerneifer hiezu haben, angeeignet werden.
Cyprian, epist. 63 ad Caecilium c. 2 ff. ↩
Joh. 15, 5. ↩
Vgl. Gen. 9, 21 ff. ↩
Gen. 14, 18. ↩
Ps. 109, 4. ↩
Richter 6, 14 ff. ↩
1 Kor. 10, 4. ↩
Num. 11, 4. ↩
Luk. 12, 49. ↩
Ambrosius, Lib. I de Spiritu Sancto im Prolog. ↩
Cyprian, De habitu Virginum c. 3. Vgl. dazu in unserer Sammlung die deutsche Übersetzung dieses Werkes von Dr. Julius Baer (Cypr. Bd. I. S. 56 ff.). ↩
1 Kor. 15, 49. ↩
Cyprian, a. a. O. c. 23 und 24. ↩
Vgl. Matth. 5, 14ff.; Luk. 11, 33ff. ↩
Ambrosius, De Virginibus II. 2. Vgl. dazu in unserer Sammlung die deutsche Übersetzung dieses Werkes von Dr. Joh. Niederhuber, Ambr. III. Bd., 305 ff. ↩
1 Kor. 5, 7 f. ↩
Matth. 5, 36. ↩
Cyprian a. a. O. c. 15 und 16. ↩
Der Doppelsinn von adulteraro — fälschen, ehebrechen läßt sich deutsch nicht ganz wiedergeben. ↩
Ambrosius a. a. O. I, c. 6. ↩
