21. Der Prophet Isaias über die Auferstehung der Toten und die Vergeltung durch das Gericht.
Der Prophet Isaias sagt1: „Auferstehen werden die Toten, und auferstehen werden die, die in den Gräbern waren, und es wird Freude herrschen bei allen, die auf Erden sind; denn der Tau, der von dir kommt, ist Gesundheit für sie. Das Land der Gottlosen dagegen wird fallen.“ Der erste Teil der Stelle bezieht sich in seinem ganzen Umfang auf die Auferstehung der Seligen. Der Schlußsatz: „Das Land der Gottlosen dagegen wird fallen“ besagt, richtig verstanden: „die Leiber der Gottlosen wird der Abgrund der Verdammnis aufnehmen.“ Wenn wir nun weiterhin den Ausspruch über die Auferstehung der Guten sorgfältiger und schärfer ins Auge fassen, so sind die Worte: „Auferstehen werden die Toten“ auf die erste Auferstehung zu beziehen, und die sich anschließenden Worte: „Und auferstehen werden die, die in den Gräbern sind“, auf die zweite. Und wenn wir nun auch nach jenen Heiligen fragen, die der Herr am Leben antreffen wird, so läßt sich etwa auf sie passend das Weitere deuten: „Und es wird Freude herrschen bei allen, die auf Erden sind; denn der Tau, der von dir kommt, ist Gesundheit für sie.“ Wir sind durchaus berechtigt, unter Gesundheit an dieser Stelle die Unsterblichkeit zu verstehen; denn vollkommenste Gesundheit ist nur die, welche nicht durch Nahrungsmittel wie durch eine tägliche Arznei aufrechterhalten werden muß. Ferner macht Isaias im Hinblick auf den Tag des Gerichtes zunächst den Guten Hoffnung, um dann die Bösen zu schrecken. Er sagt nämlich2: „So spricht der Herr; Siehe, ich leite herab auf sie wie einen Strom des Band 28, S. 1273Friedens und wie einen überströmenden Bach die Herrlichkeit der Völker. Ihre Kinder werden auf den Schultern getragen und auf den Knien getröstet werden. Trösten werde ich euch, wie eine Mutter tröstet; und in Jerusalem werdet ihr getröstet werden, und ihr werdet schauen und euer Herz wird sich freuen und eure Gebeine werden sprossen wie Gras. Und die Hand des Herrn wird denen, die ihn verehren, kund werden und den Widerspenstigen drohen. Denn siehe, der Herr wird kommen wie Feuer und wie Sturmwind seine Wagen, Rache anzurichten in seinem Grimm und Verwüstung in Feuersflamme. Denn im Feuer des Herrn wird gerichtet werden die ganze Erde und mit seinem Schwert alles Fleisch; viele werden verwundet sein vom Herrn.“ In der Verheißung für die Guten haben wir sicherlich unter dem Strom des Friedens die Überfülle jenes Friedens zu verstehen, der so groß ist, als er nur sein kann. In einen solchen werden wir ja beim Ende eintauchen; ich habe davon ausführlich im vorigen Buche gesprochen3. Diesen Strom, sagt Gott, werde er auf die herableiten, denen er eine so große Glückseligkeit verheißt; daran mögen wir erkennen, daß auf dem Gefilde der Seligkeit, wie sie im Himmel zu Hause ist, alles aus diesem Fluß bis zur Sättigung getränkt wird; und zwar wird daraus auch den irdischen Leibern der Friede der Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit zufließen; deshalb spricht er von einem Herableiten: der Fluß soll aus einer höheren Welt sozusagen auch niedrigeres Dasein überströmen und die Menschen den Engeln gleich machen. Auch unter dem hier genannten Jerusalem haben wir nicht das mit seinen Kindern in Knechtschaft befindliche zu verstehen, sondern unsere freie Mutter nach dem Apostel4, das ewige im Himmel. Dort werden wir getröstet werden nach all den Beschwerden der irdischen Mühsale und Sorgen, auf den Schultern und auf den Knien getragen als ihre Kinder. Denn da wir Unerfahrene und Neulinge sein werden, so wird uns solch ungewohnte Glückseligkeit mit aller Zärtlichkeit und Hilfsbereitschaft Band 28, S. 1274aufnehmen. Dort werden wir schauen, und unser Herz wird sich freuen. Er sagt nicht ausdrücklich, was wir schauen werden; aber was sonst als Gott? Es soll sich an uns die Verheißung des Evangeliums erfüllen5: „Selig die, die eines reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen,“ und überdies all das, was wir hienieden nicht schauen, wohl aber im Glauben uns vorstellen, nach dem bescheidenen Maße der menschlichen Fassungskraft weit unter der Wirklichkeit bleibend und sie nicht einmal vergleichsweise erreichend. „Dort werdet ihr schauen“, heißt es, „und euer Herz wird sich freuen.“ Hienieden glaubt ihr, dort werdet ihr schauen. „Und euer Herz wird sich freuen“, hat er gesagt; damit wir jedoch deshalb nicht etwa meinen, die Güter Jerusalems hätten nur auf unseren Geist Bezug, fügt er bei: „Und eure Gebeine werden sprossen wie Gras.“ Hier streift er die Auferstehung des Leibes, gleichsam Übergangenes nachholend; denn das Schauen kommt erst nach der Auferstehung, nicht umgekehrt. Er hat übrigens auch vom neuen Himmel und der neuen Erde schon früher gesprochen, da wo er in vielen und mannigfaltigen Wendungen von den Verheißungen handelte, die den Heiligen für die Endzeit gemacht sind. Da sagt er6: „Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben, und man wird des Früheren nicht mehr gedenken noch wird es ihnen in den Sinn kommen, vielmehr werden sie Freude und Frohlocken darin finden. Siehe, ich werde Jerusalem zur Wonne machen und mein Volk zur Freude; und ich werde frohlocken in Jerusalem und mich freuen in meinem Volke; und man wird keinen Laut des Weinens mehr darin vernehmen“, und so weiter, Worte, die manche auf jene tausend Jahre hienieden beziehen wollen. Es sind eben nach Seherart figürliche Redewendungen mit wörtlich zu nehmenden vermischt, damit verständige Erwägung zum geistigen Sinn durchdringe mit nützlicher und heilsamer Anstrengung; aber freilich, schwerfällige Bequemlichkeit oder der Stumpfsinn des unwissenden und ungeübten Geistes gibt sich Band 28, S. 1275mit dem Buchstaben zufrieden, wie er dasteht, und meint, es sei dahinter weiter nichts zu suchen. Doch damit will ich auch schon diese Stelle des Propheten wieder verlassen; ich kehre zu den Worten zurück, von denen ich ausgegangen bin. Hier sagt er; „Und eure Gebeine werden sprossen wie Gras“ und gibt damit zu erkennen, daß er von der Auferstehung des Fleisches oder genauer der Guten spricht; daran nun knüpft er die Worte: „Und die Hand des Herrn wird denen, die ihn verehren, kund werden.“ Damit ist offenbar gemeint die Hand dessen, der seine Verehrer von seinen Verächtern sondert. Und von diesen sprechend, fährt er weiter: „Und den Widerspenstigen“ oder, wie eine andere Übersetzung lautet, „den Ungläubigen wird sie drohen.“ Sie wird aber dann nicht mehr bloß drohen, sondern die hier gebrauchten Drohworte werden nun durch die Tat wahr gemacht werden: „Denn siehe, der Herr wird kommen wie Feuer und wie Sturmwind seine Wagen, Rache anzurichten in seinem Grimm und Verwüstung in Feuersflamme. Denn im Feuer des Herrn wird gerichtet werden die ganze Erde und mit seinem Schwert alles Fleisch; viele werden verwundet sein vom Herrn.“ Ob Feuer oder Sturmwind oder Schwert, immer ist damit die Strafe des Gerichtes bezeichnet, am deutlichsten da, wo es heißt, daß der Herr selbst wie Feuer kommen wird, für die ohne Zweifel, welchen seine Ankunft Strafe bedeuten wird. Unter seinen Wagen mag man etwa Dienstleistungen der Engel verstehen. Wenn sodann die gesamte Erde und alles Fleisch in das Gericht durch Feuer und Schwert einbezogen erscheint, so dürfen wir hier nicht auch an die Geistigen und Heiligen denken; gemeint sind vielmehr nur die Irdischen und Fleischlichen, solche, von denen es heißt7: „Auf das Irdische steht ihr Sinn“, und8: „Fleischliche Gesinnung ist Tod“, solche, die vom Herrn geradezu als Fleisch bezeichnet werden in der Stelle9: „Mein Geist soll nicht ewig in diesen Menschen bleiben; denn sie sind Fleisch.“ Band 28, S. 1276Die Verwundung endlich, von der hier die Rede ist, indem es heißt: „Viele werden verwundet sein vom Herrn“, ist die Wunde zum zweiten Tod. Nun kann man freilich Feuer und Schwert und Wunde auch in gutem Sinne auffassen. Hat doch der Herr gesagt10, er wolle Feuer auf die Erde senden, und als der Heilige Geist herabkam, erschienen den Aposteln zerteilte Zungen wie Feuer11, und wiederum sagt der Herr12: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen auf die Erde, sondern das Schwert“, und das Wort Gottes wird in der Schrift13 ein zweischneidiges Schwert genannt im Hinblick auf die Doppelschneide der beiden Testamente, und im Hohen Lied14 bezeichnet sich die heilige Kirche als verwundet durch die Liebe, wie durchbohrt von einem Pfeil durch die Gewalt der Liebe. Wie jedoch an unserer Stelle, wo vom Kommen des Herrn zur Rache die Rede ist, diese Ausdrücke zu verstehen sind, ist klar.
Hierauf spricht Isaias15 kurz von denen, die durch dieses Gericht zugrunde gehen werden, wobei er unter dem Bilde der im alten Gesetze verbotenen Speisen, deren sie sich nicht enthielten, die Sünder und die Gottlosen bezeichnet, und schildert sodann16 nachholend die Gnade des Neuen Testamentes von ihrem Anbeginn, indem er seine Weissagung ausdehnt von der ersten Ankunft des Erlösers bis zum Jüngsten Gericht, von dem wir jetzt handeln, und sie damit beschließt. Er erzählt nämlich, wie der Herr sagt, er komme, um alle Völker zu versammeln, und sie würden kommen und seine Herrlichkeit schauen. „Denn alle“, sagt der Apostel17, „haben gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes.“ Und er werde über ihnen Zeichen zurücklassen, damit sie nämlich, darüber verwundert, an ihn glauben, und werde Erlöste aus ihrer Mitte aussenden zu verschiedenen Völkern und auf entlegene Inseln, die seinen Namen nicht gehört und seine Herrlichkeit nicht geschaut haben; und diese würden seine Herrlichkeit Band 28, S. 1277verkünden bei den Völkern und Brüder zuführen denen, an die sich der Prophet wendete, nämlich den Auserwählten unter den Israeliten, Brüder als Söhne des gleichen Gott-Vaters durch den Glauben; sie würden ferner von allen Völkern ein Geschenk dem Herrn zuführen in die heilige Stadt Jerusalem, die jetzt in den heiligen Gläubigen über die Länder sich ausdehnt, ein Geschenk in Zugtieren und Wagen [worunter man recht wohl Gottes Handreichungen verstehen mag durch seine Diener jeglicher Art unter Engeln und Menschen]. Denn wo göttliche Hilfe, da Glaube, und wo Glaube, da „kommt“ man. Und diese Ankömmlinge hat hier der Herr in einer Art Gleichnis mit den Kindern Israels zusammengestellt, wie sie ihm ihre Opfer unter Psalmengesang darbringen in seinem Hause, was nunmehr überall die Kirche tut, und von ihnen, so hat er verheißen, werde er sich Priester und Leviten nehmen, was gleichfalls in der Gegenwart und vor unseren Augen geschieht. Denn nicht auf Grund leiblicher Abstammung, wie es ehedem der Fall war, nach der Ordnung Aarons, sondern, wie es sich gehört im Neuen Testamente, wo Christus nach der Ordnung Melchisedechs Hoherpriester ist, nach eines jeden Verdienst, das ihm die göttliche Gnade mitteilt, werden jetzt die Priester und Leviten auserwählt, und sie sind zu beurteilen nicht nach diesem Titel, der oft auch Unwürdigen zuteil wird, sondern nach der Heiligkeit, die, nicht Guten und Bösen gemeinsam ist.
Diese Worte beziehen sich also auf einen Erweis des Erbarmens, den Gott seiner Kirche erzeigt und der offenkundig und uns sehr genau bekannt ist. Hierauf verheißt Gott auch das Endziel, zu dem es kommt nach der durch das Jüngste Gericht vollzogenen Scheidung zwischen Guten und Bösen; er spricht nämlich durch den Propheten, oder der Prophet spricht im Namen des Herrn18: „Denn wie der neue Himmel und die neue Erde Bestand haben werden vor mir, so wird euer Same und euer Name Bestand haben, und es wird Monat aus Monat sein und Sabbat aus Sabbat. Alles Fleisch wird vor mein Angesicht kommen, um anzubeten in Band 28, S. 1278Jerusalem, hat der Herr gesagt; und sie werden hinausgehen und die Glieder jener Menschen sehen, die wider mich angegangen sind. Ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht erlöschen, und sie werden zur Schau sein allem Fleische.“ So beendet dieser Prophet sein Buch mit dem Weltende. Übrigens haben manche statt „die Glieder der Menschen“ übersetzt: „die Leichname der Männer“ und so mit dem Wort Leichnam die am meisten in die Augen springende Leibesstrafe angedeutet; wobei freilich zu beachten ist, daß man als Leichnam nur entseeltes Fleisch bezeichnet, während die Leiber, um die es sich hier handelt, beseelt sein werden, sonst würden sie ja keine Qualen empfinden können; nur insofern etwa kann man von Leichnamen sprechen, als Leiber von Toten gemeint sind, d. i. von solchen, die dem zweiten Tod anheimfallen werden. Damit stimmt überein der schon oben angeführte Ausspruch desselben Propheten: „Die Erde der Gottlosen aber wird fallen.“ Und klar ist ja in der Tat, daß cadaver [Leichnam]von cadere [fallen]kommt. Wenn sodann in jener Übersetzung nur von Männerleichnamen die Rede ist, so steht das natürlich für Menschenleichname. Es wird ja wohl niemand behaupten wollen, daß in diese Strafe nicht auch die Frauen einbezogen seien, die gegen Gott angehen; vielmehr sind beide Geschlechter in dem vorzüglicheren zusammengefaßt, was um so mehr statthaft ist, als das Weib aus dem Manne geschaffen ist. Jedoch von besonderer Wichtigkeit ist folgende Feststellung: Es heißt hier sowohl von den Guten: „Alles Fleisch wird kommen“ [es heißt so, nicht als wären da alle Menschen dabei, da ja die Mehrzahl sich in Strafpeinen befinden wird, sondern in dem Sinne, daß das hier gemeinte Volk aus Menschen aller Art bestehen wird], also es ist, wie gesagt, sowohl bei Erwähnung der Guten die Rede von Fleisch, wie auch bei Erwähnung der Bösen die Rede von Gliedern oder Leichnamen: damit ist klar ausgesprochen, daß erst nach der Auferstehung des Fleisches, an die der Glaube gerade durch die hier gebrauchten Ausdrücke bekräftigt wird, jenes Gericht stattfinden wird, durch das die Guten und die Bösen endgültig voneinander geschieden werden.