2. Kapitel. Inwiefern ist der Glaube der Gläubigen einer?
5. Der Glaube hingegen, über den in diesem Buche etwas ausführlicher zu handeln der sichere Aufbau unserer Einteilung uns antreibt ― die ihn haben, heißen Gläubige, die ihn nicht haben, Ungläubige, wie jene, die den in sein Eigentum kommenden Sohn Gottes nicht aufnahmen1 ―, ist zwar in uns vom Hören2 entstanden, nicht jedoch gehört er zu dem Leibessinn, der Gehör genannt wird, weil er ja kein Klanglaut ist, auch nicht zu den Augen dieses Fleisches, weil er ja nicht Farbe oder Form des Leibes ist, auch nicht zum Tastsinn, weil er nichts Körperhaftes an sich hat, ja überhaupt nicht zu irgendeinem Leibessinn, weil er ja eine Sache des Herzens, nicht des Leibes ist. Er ist ja auch nicht draußen, sondern ist drinnen in uns. Nicht sieht ihn ein Mensch in einem anderen, sondern nur in sich selbst. Er kann schließlich auch geheuchelt werden, so daß man sein Dasein in einem Menschen annimmt, der ihn nicht hat. Jeder sieht also seinen Glauben bei sich selbst; an sein S. 165 Dasein in einem anderen aber glaubt er, nicht sieht er es; und er glaubt um so fester daran, je mehr er die Früchte merkt, die der Glaube durch die Liebe zu wirken pflegt.3 Daher ist allen, von denen der Evangelist weiterfahrend sagt: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden; jenen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blute, nicht aus Fleischeswollen, nicht aus Manneswollen, sondern aus Gott geboren sind“,4 dieser Glaube gemeinsam, nicht wie eine körperliche Form den Augen aller derer, denen sie gegenwärtig ist, zum Sehen gemeinsam ist ― aus ihr allein wird ja auf eine gewisse Weise das Auge aller, die sie sehen, geformt ―, sondern so, wie man sagen kann, daß allen Menschen das menschliche Antlitz gemeinsam ist; das wird nämlich in der Weise behauptet, daß doch die einzelnen je ihr eigenes Antlitz haben. Daß in der Tat von einer Lehre her der Glaube sich den Herzen der einzelnen Gläubigen, die das gleiche glauben, einprägte, das läßt sich mit vollstem Rechte sagen. Aber etwas anderes sind die Wahrheiten, an die man glaubt, etwas anderes ist der Glaube, durch den man glaubt. Jene sind ja in den Dingen, von denen es heißt, daß sie entweder sind, oder daß sie waren, oder daß sie sein werden; dieser aber ist in der Seele des Glaubenden, nur dem erschaubar, dem er zugehört, wenngleich er auch in anderen ist, freilich nicht als derselbe, sondern als ein ähnlicher. Denn nicht der Zahl nach ist er einer, sondern der Art nach; wegen der Ähnlichkeit jedoch und weil keine Verschiedenheit da ist, sprechen wir lieber von einem Glauben als von vielen. Denn auch wenn wir zwei ganz ähnliche Menschen sehen, sprechen wir von einem Antlitz und wundern uns über beide. Leichter spricht man daher von vielen Seelen, die in ihrem Einzeldasein einzelnen zugehören ― von diesen einzelnen lesen wir in der Apostelgeschichte, daß sie eine Seele hatten5 ―, als daß dort, wo der Apostel sagt: „Ein S. 166 Glaube“,6 jemand wagen würde, von ebensovielen Glauben zu sprechen, als es Gläubige sind. Und doch weist der, welcher sagt: „Frau, dein Glaube ist groß“,7 und zu jemand anderem: „Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt“,8 darauf hin, daß jeder seinen Glauben hat. Man spricht aber von dem einen und selben Glauben der Gläubigen, wie von einem und demselben Willen der Wollenden, da doch bei denen, die dasselbe wollen, jedem sein Wille sichtbar, der des anderen aber verborgen ist, wenngleich er dasselbe will; und wenn sich dieser durch irgendwelche Zeichen kundgibt, dann wird er mehr geglaubt als gesehen. Jeder aber ist sich seiner eigenen Seele bewußt und glaubt daher nicht bloß, daß dieser Wille sein Wille ist, sondern durchschaut ihn vollkommen.
