Kap. 2. Wahre christliche Geduld hat nichts gemein mit der Geduld der selbstgefälligen und törichten Philosophen.
Ihr streben nach ihrer Versicherung auch die Philosophen nach. Aber ihre Geduld1 ist ebenso falsch wie ihre Weisheit. Denn wie könnte einer weise oder geduldig sein, der weder die Weisheit noch die Geduld Gottes kennt? Sagt er selbst doch mit warnender Stimme von S. 291 denen, die sich in der Welt weise dünken: „Vernichten will ich die Weisheit der Weisen und die Klugheit der Klugen verwerfen“2 , und auch der selige Apostel Paulus, der zur Berufung und Unterweisung der Heiden ausgesandt ist, bezeugt und lehrt es, des Heiligen Geistets voll, mit den Worten: „Sehet zu, daß euch niemand beraube durch die Philosophie und eitlen Trug nach der Überlieferung der Menschen, nach den Grundsätzen der Welt und nicht nach Christus; denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit“3 . Und an einer anderen Stelle sagt er: „Niemand täusche sich! Wenn einer glaubt, er sei weise unter euch, so werde er erst ein Tor für diese Welt, damit er ein Weiser werde! Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott. Denn es steht geschrieben: 'Fangen werde ich die Weisen in ihrer eigenen Schlauheit'4 , und wiederum: ,Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, daß sie töricht sind'“5 . Wenn also bei ihnen nicht die wahre Weisheit zu finden ist, so kann auch ihre Geduld nicht die wahre sein. Denn wenn nur der geduldig ist, der demütig und sanft ist, die Philosophen aber, wie wir sehen, weder demütig noch sanft, sondern gar selbstgefällig sind und eben deshalb, weil sie sich selbst gefallen, Gott mißfallen, so ist es doch klar, daß es dort keine Geduld gibt, wo übermütige Frechheit unter der Maske des Freimuts herrscht und wo man ohne Scham die Brust offen und halbnackt zur Schau trägt6 .
Mit „Geduld“ ist hier die [Unempfindlichkeit] der stoiscben, die [Unerschütterlichkeit] der epikureischen Lehre gemeint, ↩
ls. 29, 14 und 1 Kor. 1, 19. ↩
Kol. 2, 8 f. ↩
Job 5, 13 ↩
Ps. 94, 11 ; 1 Kor. 3, 18-20. ↩
Die nachlässige Kleidung und Tracht, durch die vielfach die Philosophen Aufsehen erregten, wird auch bei Satirikern wie Juvenal öfters gerügt. ↩
