15. Die Einheit der Person in Christus begann mit seiner jungfräulichen Empfängnis; Maria ist also wirklich Gottesgebärerin.
Diese Einheit der Person in Christus ist also keineswegs erst nach der jungfräulichen Geburt, sondern schon im Schöße der Jungfrau hergestellt und vollendet worden. [21] Denn gar sehr müssen wir darauf sehen, daß wir Christus nicht bloß als einen, sondern als immerdar einen bekennen, weil es eine unerträgliche Lästerung wäre, wenn man zwar zugesteht, er sei gegenwärtig einer, aber doch behauptet, er sei einmal nicht einer, sondern zwei gewesen, einer nämlich nach der Zeit seiner Taufe1 , zwei aber zur Zeit seiner Geburt. Dieser Ungeheuern Gotteslästerung werden wir fürwahr nicht anders entgehen können, als wenn wir bekennen, daß der Mensch mit Gott in Einheit der Person vereinigt worden sei, nicht von seiner Himmelfahrt oder Auferstehung oder Taufe an, sondern schon in der Mutter, im Mutterschoße, ja sogar schon bei der jungfräulichen Empfängnis. Wegen dieser Einheit der Person wird ohne Unterschied und Trennung sowohl was Gott eigentümlich ist dem Menschen, als auch was dem S. 191Fleische eigentümlich ist Gott zugeschrieben2 . Daher stammt auch, was in der Heiligen Schrift steht: sowohl der Sohn des Menschen sei vom Himmel herabgestiegen3 , als auch, der Herr der Herrlichkeit ist gekreuzigt worden4 auf Erden; daß ferner, obschon nur das Fleisch des Herrn geworden, nur das Fleisch des Herrn geschaffen war, gesagt wird, das Wort Gottes selbst sei geworden5 , die Weisheit Gottes selbst sei erfüllt6 , die Allwissenheit erschaffen worden7 , wie in der Weissagung von einer Durchbohrung seiner Hände und Füße berichtet wird8 . Eine Folge dieser Einheit der Person ist auch, sage ich, ein ähnliches Mysterium, daß es nämlich, weil das Fleisch des Wortes aus der unversehrten Jungfrau geboren wurde, echt katholisch ist zu glauben, das Wort Gottes selbst sei aus der Jungfrau geboren worden, und daß es ganz gottlos ist, dies zu leugnen.
Und darum sei es ferne, daß jemand die heilige Jungfrau der Vorrechte der göttlichen Gnade und ihres einzigartigen Ruhmes zu berauben suche; denn sie ist durch die Gnade unseres Herrn und Gottes, ihres Sohnes, im wahrsten und seligsten Sinne als Gottesmutter zu bekennen, jedoch nicht in der Weise als Gottesgebärerin, wie es eine gottlose Häresie vermeint9 , daß ihr Name Gottesmutter ein bloßer Ehrentitel sei, weil sie nämlich den Menschen geboren habe, der nachher Gott geworden ist; in diesem Sinne nennen wir eine Frau Mutter eines Priesters oder Mutter eines Bischofs, die nicht einen solchen geboren hat, der schon Priester oder Bischof war, sondern einen solchen Menschen geboren hat, der nachher Priester oder Bischof geworden ist. Nicht so, sage ich, ist die hl. Maria Gottesgebärerin, sondern vielmehr darum, weil, wie oben S. 192bemerkt wurde, schon in ihrem geheiligten Schöße jenes hochheilige Geheimnis sich vollzogen hat, daß infolge einer besonderen und einzigartigen Einheit der Person, wie das Wort im Fleische Fleisch, so der Mensch in Gott Gott ist.
Gemeint ist die Ansicht vieler Gnostiker, Jesus Bei erst zum Sohne Gottes geworden, als der Hl. Geist bei seiner Taufe auf ihn herabkam und Gott der Vater ihn seinen Sohn nannte. ↩
Die Theologen nennen das communicatio idiomatum, z. B. wenn man sagt, Gott habe gelitten oder Maria sei Gottesgebärerin. ↩
Joh. 3, 13. ↩
1 Kor. 2, 8. ↩
Joh. 1, 14. ↩
Sir. 24, 35. ↩
Ebd. 1, 4; 24, ↩
Ps. 21, 17. ↩
Gemeint ist Nestorius. ↩
