1. Was zuerst zu untersuchen sei.
Als nun nach der Mahlzeit, die für unsern Hunger nach speisender Lehre mehr lästig als angenehm schien, der Greis gemerkt hatte, daß wir sogleich die Leistung der versprochenen Unterredung erwarteten, sprach er: „Es ist mir nicht nur euer gespannter Lerneifer angenehm, sondern auch der Unterricht über die vorgelegte Frage. Denn ihr habt in der That eine vernünftige Reihenfolge im Fragen eingehalten. Es ist nemlich nothwendig, daß auf die Fülle der so erhabenen Liebe auch die ungemessene Gabe der vollkommenen und beständigen Keuschheit folge und so doppelte Freude sei über die doppelte Siegespalme. Sie sind ja so eng mit einander verbunden, daß man eine ohne die andere nicht besitzen kann. Das nun enthielt eure Frage, wir sollten uns in einer ähnlichen Unterredung darüber verbreiten, ob Das Feuer jener Begierde, deren Glut unser Fleisch wie angeboren fühlt, ganz könne ausgelöscht werden. Hierin wollen wir nun zuerst genauer untersuchen, was der heilige S. b30 Apostel gemeint habe. Er sagt: 1 „Tödtet ab eure Glieder, die auf der Erde sind.“ Ehe wir also Das Übrige untersuchen, wollen wir zuerst fragen, welches die Glieder seien, deren Adtödtung er befiehlt. Denn es treibt uns doch der hl. Apostel nicht mit grausamem Befehle an. Hände oder Füße oder die Genitalien abzuschneiden, sondern er will, daß der Körper der Sünde, der wirklich aus Gliedern besteht, durch den Eifer der vollkommenen Heiligkeit so schnell wie möglich zerstört werde, von welchem Körper er auch anderswo sagt, „es solle der Körper der Sünde vernichtet werden.“ 2 Dann setzt er folgerichtig auseinander, welches diese Zerstörung sei, daß wir nemlich „nicht mehr der Sünde dienen.“ Davon wünscht er auch klagend befreit zu werden, wenn er sagt: 3 „O ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich befreien von dem Leide dieses Todes?
