[Vorwort]
Zu dem Freundeskreise in Aquileja, dessen Hieronymus in angenehmer Erinnerung des öfteren gedenkt, gehörte Heliodor aus Altinum, der ihn auch auf seiner ersten Orientreise begleitete und zusammen mit ihm Mönch wurde. Obwohl es Hieronymus hart ankam, daß sein Freund nach kurzer Zeit dem Mönchsleben den Rucken wandte und in die Heimat zurückkehrte, wurde das herzliche Verhältnis zwischen den beiden Männern nicht gestört. Heliodor war heimgekehrt, weil er sich verpflichtet glaubte, die Erziehung seines Schwestersohnes Nepotian, dessen Vater unerwartet gestorben war, in die Hand zu nehmen. Zum Jüngling herangewachsen, trat Nepotian in die kaiserliche Palastwache ein, bewahrte sich aber in diesem nicht ungefährlichen Berufe seine christliche Lebensauffassung, die der Oheim, der später Priester und Bischof in seiner Vaterstadt geworden war, ihm anerzogen hatte. Nach kurzer Zeit zog der Jüngling die Uniform wieder aus, um sie mit dem Mönchsgewand zu vertauschen. Seinen Lieblingswunsch, sich in die Einöde zurückzuziehen, brachte er der Anhänglichkeit an den Oheim zum Opfer, der ihn zum Priester weihte und damit zu seinem Gehilfen machte in der stillen Hoffnung, daß sein Neffe einmal sein Nachfolger im bischöflichen Amte sein werde. Dieser Hoffnung bereitete der frühe Tod Nepotians, der einen musterhaften priesterlichen Lebenswandel geführt hatte, ein jähes Ende. 1
S. 123 In die Freundschaft zwischen Hieronymus und Heliodor hatte sich auch der Neffe eingeschaltet. Freunden aber zeigte sich Hieronymus immer gefällig. So kam denn auch Hieronymus der Bitte des jungen Priesters nach, für ihn ein Vademecum des priesterlichen Lebens — den vorliegenden Brief — zu verfassen. Freilich mußte die Bitte mehrmals wiederholt werden, ehe sich Hieronymus zu ihrer Erfüllung herbeiließ. Zehn Jahre früher hatte er in einem Schreiben an Eustochium 2 gewisse Mißstände in einem Teile des römischen Klerus mit scharfen Worten gegeißelt, 3 wie er es häufiger während seiner Tätigkeit unter Papst Damasus zu tun pflegte. Die angegriffenen Kreise hatten ihm so zugesetzt, daß er nach dem Tode seines Gönners Rom verlassen mußte. Auch der Brief an Eustochium machte böses Blut und weckte scharfe Angriffe. Es ist unter diesen Umständen begreiflich, daß Hieronymus mit einer gewissen Scheu an die ihm gestellte Aufgabe herantrat.
Aber er löste sie in musterhafter Weise. Hieronymus war älter und ruhiger geworden. Die Lebenserfahrung läßt ihn, wo er tadeln muß, mildere Worte wählen und alles Persönliche meiden. So ist in schöner Diktion ein Werk entstanden, das mutatis mutandis auch heute noch seine Gültigkeit hat, das lateinische Gegenstück zu des hl. Johannes Chrysostomus Schrift „Über das Priestertum“.
Aber auch kulturhistorisch eignet dem Briefe große Bedeutung, hebt sich doch einerseits das Bild des idealen Priesters von einem Hintergrunde ab, der uns zeigt, daß in einer Zeit des Zerfalles auch das Heiligtum nicht unberührt blieb. Wir erkennen, wie der Endkampf zwischen Heidentum und Christentum, der sich damals im öffentlichen Leben Roms allenthalben bemerkbar machte, auch im persönlichen Wandel einer bestimmten Schicht der Geistlichkeit zu inneren Krisen führte.
Da der Brief nach des Hieronymus eigener Angabe zehn Jahre nach dem Briefe an Eustochium über die Jungfräulichkeit geschrieben ist, so muß er ins Jahr 394 verlegt werden.
