1.
S. 124 Mein teuerster Nepotian, Du bittest und bittest immer wieder in Deinen Briefen, die Du mir über das Meer zuschickst, Dir in einer kleinen Schrift ein Lebensprogramm zu umreißen. Du willst wissen, wie einer der die militärische Laufbahn verlassen hat, um Mönch oder Priester zu werden, den rechten Weg Christi einhalten soll, ohne sich in den mancherlei Irrpfaden des Lasters zu verlieren. Als ich, ein Jüngling, ja beinahe noch ein Knabe, die aufwallende Leidenschaft der Jugend durch ein hartes Leben in der Einöde niederringen wollte, da richtete ich an Deinen guten Onkel Heliodor unter Tränen und Seufzern ein aufmunterndes Schreiben, welches ein Zeichen der Anhänglichkeit von seiten des vereinsamten Freundes sein sollte. 1 Aber jenes Werkchen war nur eine dem jugendlichen Alter angepaßte Spielerei. Noch unter dem Eindruck der Schule und den Unterweisungen der Rhetoriker stehend habe ich da einiges in blumenreichen Worten niedergeschrieben. Jetzt aber, wo mein Haar gebleicht und die Stirne gefurcht ist, wo die Wamme, wie bei den Stieren, vom Kinne herunterhängt, 2 da gilt das Dichterwort:
Kälte des Blutes, sich legend ums Herz, steht hindernd im Wege. 3 Ein gleiches Empfinden läßt den Dichter an anderer Stelle sagen:
„Alles schon nimmt uns das Alter, nicht machet es Halt vor dem Geiste.“ 4
Und etwas später:
„Alle die Lieder, ich hab’ sie vergessen, die Stimme gar schwindet Dem Möris.“ 5
