Dritter Artikel. Liebe ist nicht dasselbe wie Wahlverwandtschaft.
a) Dementgegen schreibt: I. Dionysius (4. de div. nom.): „Liebe und Wahlverwandtschaft (amor et dilectio) verhalten sich wie 4 und 22; wie Rechtliniges und was rechte Linien hat.“ Diese beiden letzteren Ausdrücke aber bezeichnen dasselbe. Also ist dies auch der Fall mit diesen beiden anderen: Liebe und Wahlverwandtschaft. II. Ein und derselbe Gegenstand ist es, auf den die Liebe und die Wahlverwandtschaft sich richten; also fallen auch beide zusammen. III. Einige sagen, Wahlverwandtschaft bezeichne vielmehr die Anhänglichkeit an etwas Gutes; Liebe werde mehr im üblen Sinne gebraucht. Das hat aber nicht statt. Denn Augustin (14. de civ. Dei 7.) schreibt, beide Namen würden in der heiligen Schrift unterschiedslos gebraucht. Also besteht kein Unterschied zwischen amor et dilectio, wie dies auch Augustin an der genannten Stelle darthut. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4. de div. nom.): „Manchen unter den heiligen Lehrern schien es, der Name der Liebe sei mit mehr Recht dem Göttlichen entsprechend wie jener der Wahlverwandtschaft.
b) Ich antworte, vier Namen finden sich nach dieser Seite hin, die das Nämliche bezeichnen: Liebe (amor), Wahlverwandtschaft (dilectio), Wertschätzung (caritas), freundschaftliche Zuneigung (amicitia). Sie sind nun zuvörderst dadurch unterschieden, daß die „freundschaftliche Zuneigung“ nach Aristoteles (8 Ethic. 5.) mehr einen Zustand ausdrücke; „Liebe“ und „Wahlverwandtschaft“ aber die Thätigkeit selber oder das Leiden; der Ausdruck „Wertschätzung“ werde in jeder von beiden Weisen gebraucht. Die Thätigkeit wird jedoch wieder nicht unterschiedslos durch die drei letzten Namen bezeichnet. Denn der Ausdruck „Liebe“ ist der allgemeinere unter ihnen; da jede Wahlverwandtschaft und jede Wertschätzung wohl Liebe ist, nicht aber umgekehrt. Der Ausdruck „Wahlverwandtschaft“ nämlich fügt zur „Liebe“ hinzu eine vorhergehende Wahl, wie der Name selbst (dileectio di-electio) andeutet; so daß eine solche Wahlverwandtschaft nicht in der Begehrkraft sich findet, sondern nur im Willen, also nur in der vernünftigen Natur. Die „Wertschätzung“ aber fügt zur „Liebe“ hinzu eine gewisse Vollendung derselben, insoweit das, was geliebt wird, als wertvoll erscheint.
c) I. Dionysius spricht von Liebe und Wahlverwandtschaft, soweit Beides im vernünftigen Begehren sich findet; und so ist Beides das Nämliche. II. Der Gegenstand der Liebe ist umfassender, allgemeiner, wie eben gesagt. III. Gemäß dem Guten und Bösen besteht kein Unterschied zwischen Liebe und Wahlverwandtschaft; und im geistigen Teile ist Beides das Nämliche, weshalb Augustin fortfährt: „Der aufrechte gerade Wille ist die gute Liebe (bonus amor); der verkehrte Wille die falsche Liebe.“ Weil aber die Liebe in der sinnlichen Begehrkraft viele zum Bösen hinneigt; deshalb hat man Gelegenheit genommen, den erwähnten Unterschied zu machen. IV. Manche nannten die Liebe göttlicher wie die Wahlverwandtschaft. Denn die Liebe schließt ein gewisses Leiden, Empfangen, eine Leidenschaft ein; zumal insofern sie in der sinnlichen Begehrkraft ist. Die Wahlverwandtschaft jedoch setzt voraus ein Urteil der Vernunft. Weil nun der Mensch vorzugsweise nach Gott strebt als leidend, gleichsam von Gott selber angezogen, und nicht so sehr nach dem Urteile der Vernunft; deshalb bezeichnet man die Liebe als „göttlicher.“
