Vierter Artikel. Die Liebe wird geteilt in die Liebe der Begierlichkeit und in die Liebe der Freundschaft.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Die Liebe ist ein Leiden, die Freundschaft ein Zustand, wie Aristoteles (8 Ethic. 5.) auseinandersetzt. Ein Zustand aber kann nicht das zweite Glied in der Teilung einer Leidenschaft in ihre Unterarten sein. Also sind „Freundschaftsliebe“ und „Begierlichkeitsliebe“ nicht die Unterabteilungen der Liebe. II. Nichts kann Unterabteilung dessen sein, womit es auf gleicher Stufe steht. Die Begierlichkeit aber oder das Verlangen ist ebenso gut eine Leidenschaft wie die Liebe. Also ist die „Begierlichteit“ keine Unterabteilung irn der Liebe. III. Die Freundschaft ist nach Aristoteles (8 Ethic. 3.) dreifacher Art: nämlich eine nützliche, ergötzliche und eine wegen ihrer selbst gewollte. Die Freundschaft aber, welche dem Nutzen oder dem Ergötzen dient, schließt die Begierlichkeit in sich ein. Also dürfen „Freundschaft“ und „Begierlichkeit“ nicht als gleichgeartete Glieder in der Einteilung der Liebe nebeneinanderstehen. Auf der anderen Seite sagt man, daß wir Manches lieben, weil wir es für uns begehren; wie jemand z. B. den Wein liebt, weil er nachSüßigkeit begehrt, wie es 2 Top. cap. 2. heißt. Dem Wein u. dgl. gegenüber haben wir aber keine Freundschaft; wie 8 Ethic. 2. gesagt wird. Also eine andere ist die Liebe der Begierlichkeit, eine andere die der Freundschaft.
b) Ich antworte, Lieben sei „Jemandem Gutes wollen.“ Die in der Liebe eingeschlossene Bewegung also richtet sich auf zweierlei: 1. auf das Gute, was jemand will, sei es für sich selbst sei es für einen anderen; und 2. auf das, dem er das Gute will. Mit Beziehung auf das Gute also, was jemand für einen anderen will, besteht die Liebe der Begierlichkeit; mit Beziehung auf das aber, wofür oder dem jemand das Gute will, besteht die Liebe der Freundschaft. Diese Einteilung nun ist nicht für ein jedes der beiden Glieder gleichwertig; sondern ist gemäß dem „früher“ und „später“; d. h. was durch Freundschaftsliebe geliebt wird, das wird an und für sich, schlechthin, an erster Stelle und nicht mit Rücksicht auf etwas Anderes geliebt; — was aber durch Begierlichkeitsliebe geliebt wird, das wird nicht einfach und an erster Stelle geliebt, sondern erst „später“; nämlich mit Rücksicht auf etwas Anderes, wofür oder dem es geliebt wird. Wie also jenes an und für sich, schlechthin ist, was für sich besteht; und jenes nur mit Rücksicht auf etwas Anderes, unter Voraussetzung ist, was in einem anderen ist; wie z. B. das Weiße nur Sein hat, unter der Voraussetzung daß die Mauer, die es trägt, Sein hat; — so ist es mit dem Guten der Fall. Einfach und schlechthin gut ist, was an und für sich bestehend Güte hat; was aber nur gut ist, weil es mit Rücksicht auf etwas Anderes Güte hat, das ist nur unter Voraussetzung gut. Demgemäß also ist die Liebe, vermittelst deren etwas geliebt wird, damit ihm oder für dasselbe etwas gut sei, einfach und schlechthin Liebe. Jene Liebe aber, womit etwas geliebt wird, damit es für etwas Anderes ein Gut sei, etwas Anderem angehöre. Anderem diene, ist nur unter gewisser Voraussetzung als Liebe zu bezeichnen.
c) I. Die Liebe wird eingeteilt, nicht in „Freundschaft“ und „Begierlichkeit“; sondern in „Liebe der Freundschaft“ und in „Liebe der Begierlichkeit“. Denn jener wird im eigentlichen Sinne ein Freund genannt, dem wir etwas Gutes wollen; jenes Gute aber begehren wir im eigentlichen Sinne, was wir für uns wollen. Damit ist geantwortet auf II. III. In der nützlichen und ergötzlichen Freundschaft will jemand allerdings etwas Gutes dem Freunde und sonach besteht da im selben Maße die Natur der Freundschaft. Weil aber dieses Gute er noch des weiteren auf sein eigenes Ergötzen und seinen Nutzen bezieht, daher kommt es, daß die nützliche und ergötzliche Freundschaft, insoweit sie zur Liebe der Begierlichkeit verkehrt wird, die Natur der wahren Freundschaft nicht erreicht.
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