Fünfter Artikel. Das rein geistige Ergötzen ist größer wie das im sinnlichen Teile.
a) Das körperliche Ergötzen scheint stärker zu sein. Denn: I. Die große Mehrzahl folgt demselben und nicht dem geistigen. II. Die Wirkung desselben ist stärker, denn es verändert den Körper. III. Man muß wegen seiner großen Gewalt das körperliche Ergötzen zügeln, was gegenüber dem geistigen nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite heißt es Ps. 118.: „Wie süß sind deine Reden, o Gott, meinem Gaumen, in den sie tief eindringen; süßer sind sie meiner Zunge wie Honig.“ Und , Aristoteles sagt (10 Ethic.7): „Das größte Ergötzen ist das an der Weisheit.“
b) Ich antworte, das Ergötzen gehe aus der Verbindung des Empfindens oder Fühlens mit dem Erkennen hervor. Die Thätigkeiten des Empfindens aber und des Erkennens, sowohl des vernünftigen wie des sinnlichen, haben nicht ihr Ziel außen in einem Stoffe, wie z. B. das Brennen oder Schneiden; sondern sie bleiben im Thätigseienden und vollenden diesen, wie z. B. das Erkennen, Wollen etc. Während also die erste Art Thätigkeit ein Gut ist für den außenbefindlichen Stoff, den sie vollenden, sind die im Thätigseienden verbleibenden Thätigkeiten ein Gut für diesen; und deshalb geht von ihnen selbst das Ergötzen aus und nicht allein von deren Gegenständen. Wird also berücksichtigt, daß wir über die Thätigkeit selber, sei es des Sinnes, sei es der Vernunft, freuen, so ist unzweifelhaft das Ergötzen an der Thätigkeit der Vernnunft weit größer wie das an der Thätigkeit der Sinne. Denn mehr ergötzt sich der Mensch daran, daß er eine Wahrheit erkennt wie daran, daß er etwas sieht oder hört; schon deshalb weil die Vernunft in höherem Grade zu ihrem Thätigsein zurückkehrt und es selber mehr zum Gegenstande des Erkennens macht, wie der Sinn. Die vernünftge Kenntnis ist auch weit mehr geliebt; denn niemand wird sich finden, der nicht lieber der Sehkraft entbehren wollte wie der Vernunft in der Weise wie letztere die Tiere entbehren. (Aug.14. de Trin. 14.) Werden nun die geistigen Ergötzungen an sich, also einschließlich ihren Gegenstand, betrachtet, mit den körperlichen verglichen; so sind auch nach dieser Seite die ersteren schlechthin, an und für sich, größer. Das erscheint aus drei Gesichtspunkten: 1. Das geistige gut für sich allein bereits ist größer und mehr geliebt wie das körperliche; demgemäß enthalten sich die Menschen auch der größten und bedeutendsten körperlichen Ergötzungen, dami sie nicht die Ehre verlieren, die ein geistiges Gut ist. 2. Der geistige Teil im Menschen, also das, mit dem das geistige Gut verbunden wird, steht bei weitem höher wie der sinnliche Teil. 3. Die Verbindung selber des geistigen Gutes mit der betreffenden Seelenkraft ist beim geistigen Teile innerlicher und vollendeter: Sie ist innerlicher. Denn der Sinn bleibt bei den äußeren Eigentümlichkeiten der Dinge stehen; die Vernunft dagegen dringt vor bis zum inneren Wesen des Gegenstandes. Vollendeter ist ebenfalls die Verbindung im geistigen Teile, denn mit dem Sinnlichen Ergötzen ist stoffliche Bewegung verbunden, also „die Thätigkeit des an sich unvollendeten,“ was nur etwas werden will, so daß das sinnlicheErgötzen niemals ganz zugleich ist, sondern bei selbem geht etwas vorüber und Anderes wird als zu genießen erwartet, wie z. B. dies bei der Speise offenbar ist; das geistige Ergötzen aber ist ohne Bewegung, so daß diese Art Ergötzen ganz zugleich ist. Auch beständiger ist das geistige Ergötzen; den die körperlichen Güter gehen vorüber, die geistigen sind unvergänglich. Mit Rücksicht auf uns jedoch, wenn auch nicht in ihrer Natur, also schlechthin, betrachtet, sind die körperlichen Ergötzlichkeiten heftiger aus drei Gründen: 1. Weil die sinnlich wahrnehmbaren Dinge uns bekannter sind wie die rein geistigen. 2. Weil die sinnlichen Ergötzungen als Leidenschaften im sinnlichen Teile mit einer körperlichen Veränderung verbunden sind; was bei den geistigen nicht der Fall ist außer in dem Falle, daß ein gewisses Überfließen stattfindet vom höheren Teile auf den niedrigeren. 3. Weil die körperlichen Ergötzungen begehrt werden wie als Heilmittel oder Medizin gegen Fehler und Mängel im Körperlichen, aus denen Trauer folgt. Sonach werden diese Ergöötzungen, weil sie auf die Trauer als auf das andere Extrem folgen, mehr empfunden und deshalb sind sie angenehmer wie die geistigen Ergötzungen, denen keine Trauer gegenübersteht.
c) I. Aus diesen Gründen werden von der großen Mehrzahl die körperlichen Ergötzungen bevorzugt; und zumal weil viele an die geistigen Ergötzungen, die ja nur Tugendhaften eigen sind, nicht hinanreichen. II. Ein körperliches Anderswerden begleitet die Ergötzlichkeit, soweit sie im sinnlichen Teile ist. III. Die körperlichen Ergötzungen sind im sinnlichen Teile, der seiner Natur nach der Richtschnur der Vernunft folgen soll; deshalb bedürfen sie des Zügels der Vernunft. Die geistigen Ergötzungen aber sind gemäß dem vernünftigen Geiste, der eben selber Regel und Richtschnur ist; sie sind also an sich maßvoll.
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