Sechster Artikel. Die Ergötzlichkeiten des Tastsinnes sind größer als die der übrigen Sinne.
a) Dementgegen scheint: I. Jene Ergötzlichkeit ist die größte, in deren Abwesenheit alle Freude aufhört. Dies scheint aber die gemäß dem Sehen zu sein. Denn Tob. 5. heißt es: „Welche Freude soll mir werden, der ich in Finsternis sitze und das Licht des Himmels nicht sehe?“ II. Ergötzlich ist jedem das, was er liebt. Jeder liebt aber am meisten, daß er sehen kann, wie Aristoteles (I. Rhet. 11.) sagt. Also der Gesichtssinn und das ihm entsprechende Ergötzen steht am höchsten. III. Das Princip oder der Anfang ergötzender Freundschaft ist an erster Stelle das Schauen. Die Ursache aber einer solchen Freundschaft ist das Ergötzen. Also das Ergötzen gemäß dem Gesichtssinne ist das größte. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3 Ethic. 10.): „Die größten Ergötzlichkeiten sind die gemäß dem Tastsinne.“
b) Ich antworte; ein jedes wird Gegenstand des Ergötzens, insoweit es geliebt wird. Der Sinn aber wird auf Grund von zweierlei geliebt: 1. Wegen der Kenntnis; 2. wegen des Nutzens. Also nach zwei Seitenhin kann gemäß dem Sinne ein Ergötzen stattfinden. Weil nun das Erfassen der Erkenntnis selber als etwas Gutes dem Menschen zueignet, deshalb sind die Ergötzungen der ersten Art dem Menschen eigen. Also die auf der ersten Stufe befindlichen Ergötzlichkeiten der Sinne, die nämlich gemäß der Erkenntnis sind, eignen dem Menschen in besonderer Weise zu. Die Ergötzungen der Sinne aber, insoweit sie auf Grund eines Nutzens geliebt werden, sind gemeinsam allen sinnbegabten Wesen. Sprechen wir demgemäß von dem sinnlichen Ergötzen, welches auf die Kenntnis gegründet ist, so ist offenbar dasjenige, welches dem Gesichtssinne folgt, das größere unter allen. Handelt es sich aber um den Nutzen, so steht da voran das Ergötzen, was vom Tastsinne herkommt. Denn der Nutzen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge und Thätigkeiten richtet sich nach dem Bedürfnisse der Erhaltung der betreffenden sinnbegabten Natur. Da steht aber am nächsten der Tastsinn und dessen Gegenstand. Denn der Tastsinn ist vorhanden für die Kenntnis oder das Erfassen jener Elemente, aus denen das sinnbegabte Wesen besteht, nämlich des Warmen und Kalten, Feuchten und Trockenen u. dgl. Demangemessen sind die Ergötzungen gemäß dem Tastsinne größer, weil sie dem Zwecke näher stehen. Und deshalb ergötzen sich jene sinnbegabten Wesen, welche nur auf Grund des Nutzens ein Ergötzen haben, gemäß den anderen Sinnen einzig und allein unter Beziehung und Maßgabe der Gegenstände des Tastsinnes. Denn nicht am Gerüche der Hasen freuen sich die Hunde, sondern an deren Verspeisung; und nicht an der Stimme des Ochsen ergötzt sich der Löwe, sondern am Verzehren desselben, wie 3 Ethic. 10. gesagt wird. Wer nun das Ergötzen auf Grund der Kenntnis, wo das Sehen an der Spitze steht, vergleichen will mit dem Ergötzen auf Grund des Nutzens, wo der Tastsinn an der Spitze steht, wird finden, daß innerhalb des Bereiches des Sinnlichen schlechthin und ohne weitere Bedingung das Ergötzen gemäß dem Tastsinne das größte ist. Denn offenbar ist überall das, was der Erhaltung der Natur im Dinge am meisten dient das Hauptsächlichste. Beachten wir aber die Ergötzlichkeiten des Gesichtssinnes, insoweit er der Vernunft dient, so stehen diese an der Spitze von allen; in demselben Maße wie die geistig-vernünftigen Ergötzlichkeiten höher stehen als die im sinnlichen Teile.
c) I. „Freude“ bedeutet vielmehr jenes Ergötzen, welches der Auffassung folgt; und da steht der Gesichtssinn voran. Dagegen gehört das Ergötzen, welches der Natur ohne weiteres folgt, dem Tastsinne an. II. Der Gesichtssinn wird am meisten geliebt wegen der Kenntnis; weil er im höchsten Grade die Unterschiede zwischen zahlreichen Dingen offenbart, wie Aristoteles an der erwähnten Stelle sagt. III. In anderer Weise ist das Ergötzen die Ursache der Fleischesliebe und in anderer Weise ist dies das Anschauen. Denn das Ergötzen, und zumal jenes, welches gemäß dem Tastsinne ist, verursacht die ergötzliche Freundschaft wie der Zweck verursacht. Das Anschauen aber verursacht wie das bewirkende Princip der Bewegung; da vermittelst des Anschauens die Gestalt und Form der liebwerten Sache in uns eingeprägt wird, die da anlockt zum Lieben und zum Begehren der entsprechenden Ergötzlichkeit.
