Vierter Artikel. Die Betrachtung der Wahrheit mildert den Schmerz.
a) Das Gegenteil sagt: I. Ekkle. 1, 18.: „Wer Wissenschaft hinzufügt, fügt Schmerz hinzu.“ II. Die Betrachtung der Wahrheit gehört der beschaulichen, spekulativen Vernunft an. Dieser aber ist es nicht eigen, zu bewegen. Da nun Freude und Schmerz gewisse Bewegungen der Seele sind, so trägt die Betrachtung der Wahrheit weder zum einen noch zum anderen bei. III. Da muß das Heilmittel angewandt werden, wo die Krankheit ist. Die Betrachtung der Wahrheit nun ist in der Vernunft. Der Schmerz aber, zum mindesten der körperliche, ist im Sinne. Also geht von der Betrachtung der Wahrheit keine Linderung des Schmerzes aus, wenigstens nicht des körperlichen. Auf der anderen Seite sagt Augustin (1 Soliloq. 12.): „Es schien mir, wenn sich jener Glanz der Wahrheit unserer Vernunft offen vorlegte, daß ich dann jenen Schmerz gar nicht fühlen würde oder doch ihn so betrachten, als ob er nicht wäre.“
b) Ich antworte; in der Betrachtung der Wahrheit sei das größte Ergötzen. Jedes Ergötzen aber mildert den Schmerz; also auch die Betrachtung der Wahrheit und zwar um so mehr, je vollkommener sie geschaut und geliebt wird. Deshalb freuen sich die Menschen, die an der Wahrheit und der künftigen Herrlichkeit sich ergötzen, mitten in ihren Trübsalen nach Jakob. 1.: „Für alle Freude erachtet, Brüder, es, wenn ihr in mannigfache Trübsal fallt.“ Und auch inmitten der gröbsten körperlichen Schmerzen wird solche Freude gefunden, wie der Märtyrer Tiburtius, als er mit nackten Füßen auf glühenden Kohlen umherging, sagte: „Es scheint mir, ich ginge im Namen Jesu Christi auf blühenden Rosen.“
c) I. Diese Stelle weist entweder auf die Schwierigkeiten hin, die es hat, wenn man eine Wissenschaft erlernen will; oder sie deutet an, wie vermittelst der Wissenschaft der Mensch viel von dem kennen lernt, was ihmentgegensteht. So verursacht also die Wissenschaft Schmerz von seiten der Gegenstände der Kenntnis her; sie verursacht Ergötzen von seiten des Betrachtens selber der Wahrheit. II. Von seiten des Gegenstandes her bewegt die beschauliche Vernunft nicht, denn ihr Gegenstand ist nicht etwas Thubares; wohl aber bewegt sie von seiten des Betrachtens, was ja ein Gut ist und von Natur ergötzlich. III. In den Kräften der Seele fließt es über von den höheren in die niederen; und so fließt das Ergötzen der Betrachtung der Wahrheit, was in der Vernunft ist, über in den Sinn und mildert den Schmerz.
