Vierter Artikel. Die Hoffnung steht entgegen der Verzweiflung.
a) Dies ist nicht der Fall. Denn: I. Einem ist nur Eines entgegengesetzt. Der Hoffnung aber ist entgegengesetzt die Furcht; also nicht die Verzweiflung. II. Was zu einander im Gegensatze steht, das muß Beziehung haben zu etwas Einigem. Der Gegenstand der Hoffnung ist aber das Gute; derjenige der Verzweiflung das Übel als Hindernis des Guten. Also ist da kein Gegensatz. III. Der Bewegung steht gegenüber als konträrer Gegensatz eine andere Bewegung. Die Ruhe ist ihr entgegengesetzt als Mangel (privatio). Die Verzweiflung aber besagt mehr Unbeweglichkeit wie Bewegung. Also ist sie nicht im (konträren) Gegensatze zur Hoffnung, welche eine Bewegung ist, die sich ausdehnt zum gehofften Gute hin. Auf der anderen Seite wird desperatio so genannt als Gegensatz von spes.
b) Ich antworte, in den Veränderungen finde sich ein doppelter Gegensatz, gemäß dem es sich handelt entweder um das Näherkommen mit Rücksicht auf entgegengesetzte Abschlußpunkte; und ein solcher Gegensatz existiert in den Leidenschaften der Begehrkraft nach „gut“ und „böse“ als Abschlußpunkten, wie der zwischen Liebe und Haß; — oder indem es sich handelt um das Näherkommen oder um das „Sich-Entfernen“ mit Rücksicht auf ein und denselben Abschlußpunkt; und ein solcher Gegensatz wohnt den Leidenschaften der Abwehrkraft inne; wie oben Kap. 23, Art. 2. gesagt worden. Der Gegenstand der Hoffnung hat nun wohl etwas Anziehendes, weil er ein schwieriges Gut ist, das möglich ist erreicht zu werden; und so strebt danach die Hoffnung. Wird aber dieser selbe Gegenstand betrachtet zugleich mit der Unmöglichkeit erreicht zu werden, so hat er den Charakter des Abstoßenden; denn, wie 3 Ethic. 3. gesagt wird, „kommt der Mensch zu etwas Unmöglichem, so weicht er zurück;“ und in solcher Weise berücksichtigt diesen Gegenstand die Verzweiflung. Also schließt sie die Bewegung des Zurückweichens, des „Sich-Entfernens“ ein; während die Hoffnung „Näherkommen“ besagt; es besteht sonach hier ein Gegensatz.
c) I. Der Hoffnung steht die Furcht gegenüber gemäß dem Gegensatze zwischen den Gegenständen: des Guten und Schlechten. Denn dieser Gegensatz findet sich in den Leidenschaften der Abwehrkraft, insofern sie von den Leidenschaften der Begehrkraft sich ableiten, Die Verzweiflung und Hoffnung aber stehen im Gegensatze gemäß dem „Nah“ und „Fern“ rücksichtlich ein und desselben Gegenstandes. II. Die Verzweiflung hat nicht zum Gegenstände das Übel als Übel; sie geht nur auf das Übel insoweit, als sich mit dem Guten die Unmöglichkeit verbunden findet, es zu erreichen. Es kann aber Verzweiflung bestehen infolge des Übermaßes an Gutem im Gegenstande. III. Die Verzweiflung ist nicht einzig und allein Mangel an Hoffnung, sondern besagt die Entfernung von der ersehnten Sache, weil man es für unmöglich hält, sie zu erreichen. Die Verzweiflung setzt voraus das Verlangen gleichwie dies die Hoffnung thut; und demnach richtet sich Beides auf das Gute und hat zur gemeinsamen Grundlage ein Verlangen.
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