Fünfter Artikel. Die Erfahrung ist Ursache der Hoffnung.
a) Dies erscheint nicht als richtig. Denn: I. Die Erfahrung gehört der Erkenntniskraft an; weshalb Aristoteles (2 Ethic. 1.) sagt: „Die Tugend in der Vernunft bedarf der Erfahrungen und der Zeit.“ Die Hoffnung aber ist im begehrenden Teile. II. Aristoteles schreibt (2 Rhet. 13.): „Die Greise hoffen mit Schwierigkeit auf Grund ihrer Erfahrungen.“ Also ist die Erfahrung eine Ursache für den Mangel an Hoffnung. III. Aristoteles sagt wiederum (2 de coelo): „Über Alles sprechen wollen und nichts auslassen, ist bisweilen ein Zeichen der Thorheit.“ Daß nun der Mensch Alles versucht, scheint zur Größe der Hoffnung zu gehören; die Thorheit aber kommt aus Unerfahrenheit. Also scheint im Gegenteil Unerfahrenheit eine Ursache der Hoffnung zu sein. Auf der anderen Seite schreibt Aristoteles (3 Ethic. 8.): „Manche haben gute Hoffnung, weil sie oft und viele besiegt haben;“ was der Erfahrung zugehört.
b) Ich antworte; der Gegenstand der Hoffnung sei das Gute, Schwierige, Zukünftige, möglich zu Erreichende. Es kann also eine Ursache der Hoffnung bestehen entweder weil sie dem Menschen etwas möglich macht oder weil sie in ihm die Meinung erweckt, es sei möglich. In der ersten Weise ist Ursache der Hoffnung alles Jenes, was die Macht des Menschen thatsächlich vermehrt wie Reichtum, Stärke und unter anderem auch die Erfahrung. Denn durch die Erfahrung lernt der Mensch, etwas mit Leichtigkeit herzustellen; und das ist die Grundlage der Hoffnung. Deshalb sagt Vegetius (de re milit. lib. l. c. 1.): „Niemand scheut sich, das zu thun, was er vertraut, gut gelernt zu haben.“ In der anderen Weise ist Grund der Hoffnung Alles das, was die Meinung im Menschen erweckt, es sei ihm etwas möglich. Und so ist Unterricht und Überredung Ursache der Hoffnung; jedoch ebenfalls die Erfahrung, insoweit durch die Erfahrung in jemandem die Meinung erweckt wird, es sei ihm etwas möglich, was vor der Erfahrung er für unmöglich hielt. In dieser letzten Weise kann jedoch die Erfahrung auch Grund für den Mangel an Hoffnung sein; insoweit die Erfahrung ihm lehrt, es sei ihm etwas unmöglich, was er sonst für möglich erachtet hätte. Demgemäß ist die Erfahrung Ursache der Hoffnung in doppelter Weise, Ursache des Mangels an Hoffnung nur in einer Weise; so daß man also die Erfahrung eine Quelle von Hoffnung vielmehr nennen kann.
c) I. Die Erfahrung ist nicht nur die Ursache davon, daß man mehr weiß; sondern sie stellt auch die Gewohnheit her, etwas leichter und schneller durch seine Thätigkeit herzustellen. II. In den Greisen ist die Erfahrung oft Grund für den Mangel an Hoffnung in der erwähnten Weise; deshalb wird da hinzugefügt: „denn Vieles ist ihnen begegnet, was schlechter war als sie es sich vorgestellt.“ III. Thorheit und Unerfahrenheit können nebenbei, nicht von ihrer Natur aus, Ursache von Hoffnung sein; indem sie nämlich das Wissenentfernen, dem gemäß man urteilen würde, etwas sei unmöglich. In der gleichen Weise also ist dann Unerfahrenheit Grund für Hoffnung, wie die Erfahrung Grund ist für den Mangel an Hoffnung.
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