Zweiter Artikel. Die Furcht bewirkt, daß man beratschlagt.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Nicht ein und demselben gehört es zu, das Beratschlagen zu bewirken oder zu befördern und es zu hindern. Die Furcht aber hindert es; denn jede Leidenschaft stört die Ruhe, die zum nüchternen Beratschlagen erfordert ist. II. Das Beratschlagen ist eine Thätigkeit der Vernunft desjenigen, der das Zukünftige erwägt. Eine gewisse Furcht „schüttelt heraus das, was man früher gedacht und rückt den Geist fort von seinem Orte,“ sagt Cicero. (4 de Tuscul.) Also hindert die Furcht, daß man ruhig beratschlagt, anstatt es zu befördern. III. Wie beratschlagt wird, um die Übel zu vermeiden; so thut man es, um Gutes zu erlangen. Da nun die Hoffnung sich auf die Erreichung des Guten richtet, so würde ebenso die Hoffnung das Beratschlagen befördern, wie die Furcht, die das Vermeiden von Übeln zum Gegenstande hat. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Aristoteles. (2 Rhet. 5.)
b) Ich antworte; es kann jemand einmal als geeignet, um zu beratschlagen, bezeichnet werden auf Grund des Willens, nämlich auf Grund der Sorge, die ihm Kummer macht; und so ist die Furcht die Ursache vom Beratschlagen, denn „wir beraten uns,“ heißt es 3 Ethic. 3. „über bedeutende Dinge, wo wir uns selbst mißtrauen;“ das nämlich, was wir fürchten, hat große Bedeutung und ist nicht einfach Übel und es wird zudem aufgefaßt als bereits nahe bevorstehend; — dann aber wird ferner jemand als geeignet um zu beratschlagen, bezeichnet, welcher die Fähigkeit besitzt, guten Rat zu geben; und so macht keine Leidenschaft geeignet für den Rat. Denn ein Mensch, der von Leidenschaft bewegt wird, findet Manches bedeutender oder minder bedeutend als es wirklich ist. Dem Liebenden z. B. erscheinen die Dinge, die er liebt, als besser; und dem Fürchtenden erscheint das was er fürchtet als furchtbarer. Und deshalb hindert jedeLeidenschaft infolge des Mangels an nüchternem Urteile, soweit sie im Spiele ist, die Fähigkeit, guten Rat zu geben,
c) I. Ist damit beantwortet. II. Je stärker eine Leidenschaft ist, desto mehr wird der damit behaftete Mensch gehindert. Wann also die Furcht gewaltig ist, will wohl der Mensch beratschlagen, ist aber dermaßen verwirrt in seinen Gedanken, daß er keinen Rat finden kann; — ist jedoch die Furcht gering, von welcher die Sorge, zu beratschlagen, ausgeht, und verwirrt sie nicht sehr die Vernunft, so kann sie sogar erhöhen die Fähigkeit, guten Rat zu finden auf Grund der Sorge und des Kummers, die ihr folgen. III. Auch die Hoffnung befördert das Beratschlagen; „denn niemand, der verzweifelt, beratschlagt.“ (2 Rhet. 5.) Die Furcht aber thut das in höherem Grade. Denn die Hoffnung ist auf das Gute gerichtet, soweit wir es erreichen können; die Furcht aber auf das Übel, das kaum zurückgewiesen werden kann, und somit berücksichtigt sie in höherem Grade das Schwierige wie die Hoffnung. „Gerade aber bei schwierigen, bedeutenden Dingen, wo wir uns selber mißtrauen, sind wir am meisten auf das Beraten angewiesen.“
