Fünfter Artikel. Gott erkennt Anderes als Er selbst ist.
a) Gegen diese Annahme sprechen die Worte Augustins: I. „Nichts schaut Gott, was außerhalb Seiner selbst wäre.“(lib. 83. qaest qu. 46.). Was aber etwas Anderes ist, wie Gott, das ist außerhalb des göttlichen Seins. Also schaut Er nichts Anderes als was sein göttliches Sein ist. II. Das Erkannte ist die Vollendung des Erkennenden. Erkennt also Gott Anderes, als Er selbst ist, so würde Er nicht in Sich vollendet sein. III. Die bestimmte Gattung des Erkenntnisaktes hängt vom erkannten Gegenstande ab. Sonach wird auch das Erkennen selber um so erhabener sein, je erhabener der Gegenstand desselben ist. Gott aber ist dem Sein nach sein Erkennen. Also erhält Gott, falls Er etwas Anderes erkennt als Er ist, die Gattung seines Seins von außen; was unmöglich ist. Also versteht Er nichts Anderes, als Sich selbst. Auf der anderen Seite heißt es Hebr. 4.: „Alles ist klar und nackt vor seinen Augen.“
b) Ich antworte, daß notwendigerweise Gott anderes Sein erkennt als Er selber ist. Offenbar nämlich erkennt Er in vollkommener Weise Sich selbst; sonst wäre sein Sein nicht vollkommen, da ja in Ihm eben Erkennen Sein ist. Wenn aber etwas in ganz vollkommener Weise erkannt wird, so ist damit notwendig verbunden, daß auch die darin enthaltene Kraft erkannt wird. Die Kraft irgend welchen Dinges aber kann nicht vollkommen erkannt werden, wenn nicht das klar aufgefaßt wird, worauf dieselbe sich erstreckt oder was sie verursacht. Deshalb muß somit offenbar Gott alles Andere, was nicht Er selbst ist, erkennen; denn seine göttliche verursachende Kraft erstreckt sich schlechthin auf alles, da Er die erste Ursache alles dessen ist, was Sein hat. Das wird nun noch klarer, wenn jemand hinzunimmt, daß das Sein der ersten wirkenden Ursache, nämlich Gottes, sein Erkennen ist. Welche Wirkungen demnach auch immer in Gott, wie in der ersten wirkenden Ursache vorher existieren, sie müssen in Ihm sein Erkennen sein und alles muß in Ihm bestehen, als Erkennbares, wie z. B. alles im Menschen nach der Art und Weise des menschlichen Seins erscheint. Denn was in einem Anderen ist, das ist daselbst vorhanden nach der Seinsstufe jenes Seins, in welchem es ist. Um aber zu bestimmen, von welcher Beschaffenheit jene Kenntnis in Gott ist, vermöge deren Er Anderes erkennt, muß erwogen werden, daß in doppelter Weise etwas erkannt wird: einmal wie es in sich selbst ist und dann gemäß dem Sein, welches es in einem Anderen hat. In sich selbst wird es erkannt, wenn es vermittelst des eigenen Gattungsbegriffes erfaßt wird, insoweit dieser die Richtschnur und das Maß des entsprechenden einzelnen Seins ergiebt und nichts anderes; gleichwie wenn das Auge den Menschen direkt vermittelst der menschlichen Gestalt sieht. Im anderen aber wird etwas gesehen, wenn es vermittelst dessen, worin es enthalten ist, gesehen wird, wie der Teil vermittelst des Ganzen; oder wie der Mensch im Spiegel gesehen wird vermittelst des Spiegels oder wie auch immer es geschehen mag, daß etwas im anderen gesehen wird. So muß also gesagt werden, Gott erkennt Sich selbst in und vermittelst Sich selbst; weil sein eigenes Wesen der Formalgrund für die Erkenntnis Seiner selbst ist. Anderes aber als Er selbst ist, erkennt Er nicht in diesem Anderen oder vermittelst dieses Anderen, sondern in Sich, soweit sein Wesen die Ähnlichkeit alles dessen in sich enthält, was nicht Er selbst ist.
c) I. Das Wort Augustins ist nicht dahin zu verstehen, daß Gott nichts anschaute, was außerhalb wäre; sondern dahin, daß Er die Dinge, welche außerhalb seines Seins sind, nur in Sich selbst als die Wirkung schaut, wie dies eben auseinandergesetzt worden ist. II. Das Erkannte ist die Vollendung des Erkennenden; nicht insoweit das Erkannte in seiner Substanz außen besteht, sondern insoweit es als Erkenntnisform, als Idee, innerhalb des Erkennenden ist. Der Stein nämlich ist seiner Substanz nach nicht in der Seele, sondern gemäß der Erkenntnisform, gemäß der vom einzelnen losgelösten Idee. Die Dinge aber, welche außerhalb des göttlichen Seins sind, werden von Gott erkannt, insoweit Gottes Wesen die Ideen und Formen derselben in sich enthält, wie dies eben gesagt worden. Also nichts Anderes ist die Vollendung der göttlichen Vernunft wie das göttliche Wesen selber. III. Das thatsächliche Erkennen erhält nicht seine bestimmte Gattung durch das was im Anderen verstanden wird, sondern durch das an erster leitender Stelle Erkannte, in welchem und kraft dessen das Andere verstanden wird. Insofern nämlich ist der Gegenstand der formale maßgebende Grund und die Richtschnur des Erkennens, insoweit die entsprechende Erkenntnisform im Innern der Vernunft das Princip der vernünftigen Thätigkeit ist. Denn jegliche Thätigkeit erhält ihre bestimmte Gattung von dem, was das Princip der Thätigkeit ist, wie die Erwärmung von der Wärme. Durch jene Erkenntnisform also wird die vernünftige Thätigkeit einer gewissen Gattung zugeteilt, welche in der Vernunft macht, daß diese thatsächlich versteht. Und das ist die Erkenntnisform des an erster leitender Stelle Verstandenen, auf Grund dessen nämlich Anderes verstanden wird. Dies ist aber in Gott sein Wesen, in welchem alle geschaffenen Formen als in ihrem Princip eingeschlossen sind. Also erhält Gott oder sein Verstehen durch nichts anderes seine bestimmte Gattung, als durch das eigene Wesen.
